Was Herz und Kopf bewegt

Der Mensch im Zeitalter des Barock: Die Ruhrtriennale wartet im Herbst mit einem Mammutprogramm auf. Eine Oper und zu Sängern mutierte Schauspieler beehren das Revier

von BORIS R. ROSENKRANZ

Kurz sollte es werden, sagt Jürgen Flimm. Ein kurzes Festival mit einem knackigen Programm. Weniger Aufwand. Weniger Stress. Und nicht so viele Produktionen wie im Jahre 2005, als Flimm gerade die Leitung der Ruhrtriennale von Gerard Mortier übernommen hatte.

Aber Pläne sind eben bloß Pläne. 25 Produktionen waren es damals. „Und nun haben wir noch mehr vor“, seufzte der Regisseur gestern in Bochum. 29 Produktionen stehen an, davon allein sechs Auftragswerke als Uraufführung, mit insgesamt 620 Künstlern. An elf Orten im ganzen Ruhrgebiet wird gespielt, inklusive drei neuen Spielstätten in Essen und Bochum. Was sich dann doch wieder eher nach Stress anhört.

Nachdem er 2005 die Romantik als Leitmotiv auserkoren hatte, will sich Flimm nun am Barock abarbeiten. So wird seine vorletzte Spielzeit Mitte August mit „dem Barock-Stück überhaupt“ (Flimm) eröffnet, mit einer Neuinszenierung von „Das Leben ein Traum“, einem Musiktheater nach Pedro Calderón. Regie führt Johan Simons, der bereits für die Ruhrtriennale arbeitete, im Jahre 2003 etwa das Stück „Sentimenti“ inszenierte.

Bei den Auftragsarbeiten engagierte Flimm unter anderen den Spiegel-Musikkritiker Klaus Umbach, der mit „Wahnfried. Ein deutsches Stammlokal“ sein Theaterdebüt vorlegt. Was geht vor in Herz und Kopf der Anhänger Richard Wagners? Dieser Frage geht Umbach nach. Die Hauptrolle singt und spielt der bekannte New Yorker Opernsänger Alan Titus, der hier erstmals alle Figuren aus Wagners „Ring des Nibelungen“ singen darf.

Eine weitere Auftragsarbeit bringt das Barock mit dem Pop zusammen: „Rubens und das nicht-euklidische Weib“ wird von Philipp Stölzl arrangiert, womit Flimm einen Vertreter des schnellen Bildes ins Revier holt. Stölzl, zunächst Bühnenbildner, ist heute besonders in der Popmusik gefragt. Er drehte Videoclips für Westernhagen, Mick Jagger oder Madonna. Basierend auf einem Text des ungarischen Schriftstellers Péter Esterházy will Stölzl nun die Bilder des Siegener Barock-Malers Peter Paul Rubens „zum Leben erwecken“.

Zurück zum Stress. Die aufwändigste Produktion steht laut Flimm Anfang Oktober auf dem Programm: Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ mit 153 Musikern und Sängern und einem Clou, der die Bochumer Jahrhunderthalle erneut als eine der vielseitigsten Spielstätten Europas zeigen könnte. Gespielt wird auf einer hundert Meter langen Bühne, die eine Art Zeitleiste symbolisieren soll, an der entlang sich das Publikum auf einer mobilen Tribüne bewegt. An Opulenz mangelt es den Aufführungen also jedenfalls nicht.

Namen. Die gehören freilich auch immer dazu. Große Namen, die die Kasse klingeln lassen. Eine umfangreiche Reihe widmet Flimm dem Regie-Altmeister Peter Zadek, dessen „Hamlet“ und „Peer Gynt“ zu sehen sein werden. Außerdem laufen Filme von und über ihn, Fotos werden gezeigt und Zadek zum Gespräch mit Flimm nach Bochum eingeladen. Überdies kommen Günter Grass und Armin Mueller-Stahl und Veronika Ferres und Otto Sander und Stefan Kurt und immer so weiter. Nur einer ist nicht mehr dabei: Bill Frisell.

Der Musiker kuratierte die Reihe „Century of Song“, wendet sich nun aber anderen Aufgaben zu. Seinen Posten übernimmt der Bassist Greg Cohen, „Century of Song“ wird geteilt. Zunächst spielen große Songschreiber wie Ex-Talking-Head David Byrne oder Laurie Anderson, die erstmals die Songs ihrer Kollegen interpretieren wird. Im zweiten Teil stehen dann Ben und Meret Becker auf der Bühne, was ja noch erträglich scheint. Aber auch Jan Josef Liefers oder Uwe Ochsenknecht sind dabei. Alles bloß, um sich einer heute eher seltsamen Spezies anzunähern: dem singenden Schauspieler.

Ruhrtriennale, 19. August bis 15. Oktober 2006, versch. SpielorteInfos: 0700-20023456