Alexei Nawalny muss nicht ins Arbeitslager

RUSSLAND Gericht setzt fünfjährige Haftstrafe gegen oppositionellen Blogger zur Bewährung aus

Nawalny kündigte an, gegen das Urteil vom Mittwoch erneut in Berufung zu gehen

VON BARBARA OERTEL

BERLIN taz | Ein russisches Gericht in der Stadt Kirow hat die fünfjährige Haftstrafe gegen den Oppositionellen und Blogger Alexei Nawalny am Mittwoch zur Bewährung ausgesetzt. Der zweite Angeklagte Pjotr Ofizerow erhielt eine vierjährige Bewährungsstrafe. Laut Richterspruch dürfen beide ihren ständigen Wohnsitz nur nach vorheriger Ankündigung ändern und müssen sich zweimal im Monat bei der Polizei melden.

Nawalny, der vor Beginn der Berufungsverhandlung von einem politischen Verfahren gegen ihn gesprochen hatte, zeigte sich auch nach der Urteilsverkündung in Kampfeslaune. „Sollte jemand glauben, dass ich mich jetzt von Protestaktionen fernhalten und meine Tätigkeit einstellen werde, so ist das ein Irrtum. Ich habe getan, was ich für notwendig hielt, und das werde ich auch künftig tun“, sagte er. Der politische Kampf werde so lange weitergehen, bis alle diejenigen, die wegen politischer Delikte im Gefängnis säßen, frei seien, sagte Nawalny. Er kündigte an, gegen das Urteil vom Mittwoch erneut in Berufung gehen zu wollen.

Der 37-jährige Antikorruptionskämpfer und Gegner von Präsident Wladimir Putin war im vergangenen Juli in einem umstrittenen Prozess wegen Korruption zu fünf Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Er soll im Jahr 2009 als Berater des Gouverneurs von Kirow eine staatliche Holzfirma um umgerechnet 500.000 Euro betrogen haben. Nachdem Nawalnys Anwalt Berufung eingelegt hatte, wurde sein Mandant auf freien Fuß gesetzt, so dass Nawalny bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen am 8. September antreten konnte. Dort unterlag er zwar Amtsinhaber Sergei Sobjanin, erreichte mit 27,24 Prozent der Stimmen jedoch einen Achtungserfolg.

Der grüne Europaabgeordnete Werner Schulz bezeichnete das Urteil gegen Nawalny als „kalkulierte Schadensbegrenzung des Kreml“. Präsident Wladimir Putin scheue davor zurück, Nawalny zum Märtyrer zu machen. Trotzdem sei es dem Präsidenten gelungen, sich seinen schärfsten politischen Gegner vom Hals zu schaffen. „Die Bewährungsstrafe ist ein Damoklesschwert, das über Nawalny schwebt und ihn seiner Rechte beraubt. So darf er weder Demonstrationen organisieren noch bei den nächsten Duma- und Präsidentschaftswahlen antreten“, sagte Schulz.

Doch ob Nawalny wirklich politisch kaltgestellt ist, ist noch nicht ausgemacht. So hatte erst in der vergangenen Woche das Verfassungsgericht entschieden, dass Gesetze, die wegen schwerer Straftaten verurteilte Personen dauerhaft von öffentlichen Ämter ausschließen, sofort geändert werden müssen.

Der Vorsitzende des beim Präsidenten angesiedelten Rats für Menschenrechte, Michail Fedotow, sagte, dass Nawalny ein Anwärter auf eine Amnestie sei, sollte die Duma ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Ende September hatte Putin den Menschenrechtsrat mit der Erarbeitung einer Amnestie beauftragt. Diese könnte aus Anlass des 20. Jahrestages der russischen Verfassung am 12. Dezember verkündet werden.