Um Himmels willen!

Kennen Sie „Popetown“? Macht nichts, denn Otto Wulff, Joachim Herrmann, Friedrich Wetter, Erika Steinbach, Winfried Röhmel oder Oliver Platzer kennen die MTV-Comic-Serie auch nicht – aber die klagen schon mal dagegen, im Namen des Herrn

von PEER SCHADER

Woher weiß man eigentlich, ob eine Fernsehsendung gut ist oder nicht? Ganz einfach: Eigentlich weiß man das gar nicht. Die einen können stundenlang „Wer wird Millionär?“ sehen und hätten Günther Jauch am liebsten als Bundeskanzler, andere finden das RTL-Frage-Antwort-Spielchen bloß langweilig. Man kann der Ansicht sein, Anke Engelke sei lustig. Oder man lässt es. Und wenn Fernsehkritiker einen Film in den höchsten Tönen loben, ist es möglich, dass er beim Publikum nachher durchfällt. Kurz gesagt: Fernsehen ist oft Ansichtssache. Umso erstaunlicher, wenn sich ausnahmsweise mal alle einig sind.

Die Zeichentrick-Animationsserie „Popetown“ ist so ein Fall. Seit der Ex- Musiksender MTV vor einigen Wochen ankündigte, die BBC-Produktion ab 3. Mai in Deutschland zeigen zu wollen, stürmt und wütet es durch Zeitungen und Internet: „Popetown“ darf nicht gesendet werden! Kritiker sagen, die Serie verletzte die Gefühle gläubiger Christen, weil sie einen „durchgeknallten Papst“ und „kriminelle Kardinäle“ zeige, wie es in der Pressemitteilung des Senders ziemlich unglücklich heißt.

Ist „Popetown“ wirklich so schlimm? Nun ja, wenn man sich ansieht, mit welcher Vehemenz die Debatte geführt wird, muss das wohl so sein. Kirchenverbände haben protestiert, und aus der Politik kamen Forderungen nach einem besseren Schutz religiöser Symbole durch Gesetzesänderungen. Erika Steinbach, Sprecherin für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, empörte sich, die Ausstrahlung sei eine „unerträgliche Beleidigung aller Christen“. Kardinal Friedrich Wetter, Erzbischof von München, erklärte: „Wir können als gläubige Christen nicht zulassen, dass Christus und sein Leiden (…) so verhöhnt werden.“

Vom Vorsitzenden der Senioren-Union, Otto Wulff, kam die Forderung, MTV müsse die Sendelizenz entzogen bekommen. Und gerade hat der bayerische CSU-Landtagsfraktionschef Joachim Herrmann Strafanzeige gegen MTV gestellt – wegen „Religionsverunglimpfung“. Schade bloß, dass keiner dieser wichtigen Menschen sich vorher die Mühe gemacht hat, „Popetown“ auch mal anzusehen.

Natürlich gibt es dafür gute Erklärungen. „Wir alle beurteilen jeden Tag kompliziertere Sachverhalte als diesen, obwohl wir selber gar nicht dabei waren“, sagt Winfried Röhmel, Leiter der Pressestelle des Erzbistums München und Freising. Der Kardinal habe sich bei seiner Kritik auf die Informationen verlassen, die MTV ins Internet stellte. Man wolle „keine neue Inquisition“ schaffen, um zu verhindern, dass Religion kritisiert werde. Es gehe bloß darum, dass Glaubensinhalte nicht „zum Instrument des Klamauks“ gemacht würden.

Röhmel ist überzeugt: „Um zu beurteilen, dass das ein Machwerk ist, muss man die Sendung nicht gesehen haben.“ Nicht mal, wenn man – so wie das Erzbistum – eine Unterlassungserklärung durchsetzen will, um MTV an der Ausstrahlung zu hindern? An der Ausstrahlung einer Sendung also, die im Bistum nie gesehen wurde? Immerhin: Eine DVD sei bestellt worden, sagt Röhmel. Noch ist sie aber nicht eingetroffen. Es kann einem ein bisschen übel werden, wenn man darüber nachdenkt, dass so was wirklich ernst gemeint ist. Aber es kommt noch besser.

„Mit den religiösen Empfindungen von Menschen, egal welcher Religionszugehörigkeit, muss man sehr behutsam umgehen“, sagt Erika Steinbach, die für die CDU im Bundestag sitzt. Dem kann man bedenkenlos zustimmen. Und wenn man sie fragt, weshalb genau sie sich jetzt verletzt fühle, sagt sie: „Den Papst zum Mittelpunkt einer Comicserie zu machen, halte ich auch als evangelischer Christ für unvertretbar.“ Gesehen hat sie „Popetown“ bisher nicht. „Ich hatte auch das Bedürfnis gar nicht, weil meine Informationen schon hinreichend waren.“ Steinbach hat viel über die Serie gelesen, sagt sie. Noch dazu sei sie in letzter Zeit nicht im Büro, sondern ständig unterwegs gewesen. „Und DVDs kann man auch in vielen Einrichtungen noch nicht abspielen.“

Otto Wulff, Vorsitzender der Senioren-Union, sorgt sich derweil um die Sensibilität unserer Gesellschaft. „Wir gehen inzwischen so selbstgerecht mit den Gefühlen anderer um, dass ich das auf Dauer für nicht mehr hinnehmbar halte“, sagt er. Man könne nicht einfach tun und lassen, was man wolle. Deshalb engagiere er sich, sagt Wulff: „Ich unterstütze die Schwachen, denn die haben das Recht auf ihrer Seite.“ Das klingt ein bisschen wie ein Spruch aus einem alten Wandkalender.

In jedem Fall hat man als Unterstützer der Schwachen ziemlich viel zu tun und wenig Zeit zum Fernsehen. Auf die Frage, welche Folge von „Popetown“ er gesehen habe, sagt Wulff: keine. Es war zu wenig Zeit. Hier ein Vortrag, dort ein Stau auf der Autobahn. Das mag ja alles sein. Aber Pressemitteilungen, in denen man die Landesmedienanstalten auffordert, einem Sender die Lizenz wegzunehmen, weil der eine Zeichentricksatire zeigen will, schreibt sich auch nicht von allein.

Zum Schluss muss man noch Oliver Platzer hören. Der ist Pressesprecher der CSU-Landtagsfraktion und erklärt einem ausführlich, dass sich die Klage von Fraktionschef Herrmann nicht gegen die Sendung als solche, sondern gegen die Anzeige richtet, die MTV zu „Popetown“ geschaltet hat. Darauf sitzt ein vom Kreuz gestiegener Christus unter der Überschrift „Lachen statt rumhängen“ vor der Glotze, was man tatsächlich als blöde Idee bezeichnen kann. Warum Hermanns aber jetzt klagt, obwohl die Anzeige von MTV längst zurückgezogen wurde, will einem nicht sofort einleuchten. Platzer sagt: „Es geht um eine Störung des öffentlichen Friedens.“ Also ums Prinzip.

Dass Herrmann „Popetown“ nicht gesehen hat, erklärt sein Pressesprecher damit, dass es ja Trailer und Ankündigungen gegeben habe, die durchblicken ließen, was das für eine Sendung sei. Andernfalls könne man ja auch argumentieren, „dass man Filme, die auf dem Index stehen, erst einmal zeigen muss, damit sich die Leute ein Urteil bilden können“.

Ja, wo kämen wir denn da hin, wenn sich die Leute plötzlich ein eigenes Urteil bilden würden! Aber bei der CSU sind sie tolerant. Platzer: „Man kann natürlich sagen, dass man sich erst einmal alles ansehen sollte, was man kritisiert. Man kann aber auch anderer Meinung sein.“

Fairerweise muss man sagen, dass wohl die wenigsten, die sich in den vergangenen Wochen zu „Popetown“ geäußert haben, bisher auch nur eine Szene angeschaut haben. Wer höflich fragt, bekommt von der MTV-Pressestelle aber zwei Folgen zugeschickt, eine englische und eine deutsche. Wer darauf verzichtet, fällt bloß auf die dämliche Provokation herein, die sie sich beim Sender ausgedacht haben, um Aufmerksamkeit zu erregen. Hat ja keiner wissen können, dass es gleich so viel werden würde. Nun zeigt MTV am nächsten Mittwoch erst einmal nur eine Folge samt Live-Diskussion. Danach wolle man die Reaktionen abwarten, heißt es in Berlin.

Dabei ist „Popetown“ die ganze Aufregung gar nicht wert. Die Serie ist viel zu harmlos, um wirklich zu verletzen. Im Cartoon-Vatikan hagelt es keine schlimmen Ketzereien, stattdessen arbeiten die Autoren mit grotesken Überzeichnungen und schießen dabei allenfalls das ein oder andere Mal übers Ziel hinaus. „Popetown“ ist sogar durchaus unterhaltsam, etwa wenn die geizigen Kardinäle hinter der Bücherwand in ihrem staubigen Arbeitszimmer in einer Wellness-Oase mit Swimmingpool residieren, die niemand entdecken darf. Regelmäßig wird die Liste mit den vermögendsten Persönlichkeiten der Welt geprüft: Talkqueen Oprah Winfrey an erster Stelle, Siegfried und Roy an zweiter, erst dann die drei Kirchenvertreter, immerhin vor J. K. Rowling.

Zugegeben: „Popetown“ ist nicht politisch korrekt: Die behinderten Kinder im Rollstuhl, die den Papst besuchen wollen und ein Lied einstudiert haben, singen grauenhaft, aber nicht über sie macht sich die Serie lustig, sondern über die furchtbare Frau vom Fernsehen, die lieber einen tragischen Mitleidsbericht über elternlose Gehbehinderte hätte als fröhlich strahlende Kids, die sich darauf freuen, ihr Idol kennen zu lernen.

Alles andere ist zu absurd, um es wirklich ernst zu nehmen: Der Papst führt sich auf, als sei er erst acht und will Verstecken spielen, verirrt sich dabei aber im Keller in die „heilige Hostienfabrik“, wo er einen Sklavenaufstand anzettelt.

Im Vatikan wird derweil ein Papstdouble engagiert, das sich als jüdischer Entertainer herausstellt, der die heilige Messe zur Unterhaltungsshow macht, während Pater Niklas im Hintergrund Schilder mit Anweisungen hochhält. „Ich wusste ja gar nicht, dass der Katholizismus so lustig ist“, sagt Schwester Marie daraufhin.

Und zusammen feiern sie die Rückkehr des Humors in die katholische Kirche.

Spätestens in dieser Szene merkt man: „Popetown“ ist so weit von der Realität entfernt, dass es sich kaum lohnt, darüber zu streiten. Und das ist dann schon wieder ganz schön traurig.