Voltaire und die Staatssicherheit

Denkwürdige Auftritte bei der Abstimmung über Erinnerungstafeln für Stasi-Gefängnis

BERLIN taz ■ Dieses Mal sind nicht 200 ehemalige Stasioffiziere gekommen, um geschlossen für die Ehre der Staatssicherheit aufzutreten. So wie Mitte März, als sie auf einer Podiumsdiskussion die Machenschaften der Stasi unwidersprochen leugneten. Am Dienstagabend am gleichen Ort, in der Mehrzweckhalle des Bezirksamtes Berlin-Lichtenberg, ist auf der öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) unter den etwa 200 Zuhörern nur eine Hand voll alter Herren, darunter auch der letzte Leiter des ehemaligen Stasi-Gefängnisses in Hohenschönhausen. Schweigend sitzen sie in einer der hinteren Reihen. Es sind dieses Mal die von der PDS vorgeschlagenen drei Redner, die für Empörung und eine erhitzte Debatte sorgen, die ein vorsorglich angeforderter Kontaktbereichsbeamter verfolgt.

Anlass der gut besuchten BVV ist die Aufstellung von Informationstafeln um das ehemalige Stasi-Gefängnis. Die Fraktionen von SPD, CDU und die beiden FDP-Verordneten haben zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen aus Lichtenberg und einer Reihe von Opfern und Opferverbänden einen Antrag „gegen die Leugnung der Unrechtstaten der SED-Diktatur“ eingebracht, mit dem das Bezirksamt aufgefordert wird, vier Informationstafeln aufzustellen. Damit soll ein „deutliches Signal“ gegen „die Ausfälle“ der ehemaligen MfS-Mitarbeiter und „jede Form von Geschichtsrevisionismus“ gesetzt werden.

Streitpunkt ist eine Tafel, auf der von „der mehr als vierzigjährigen kommunistischen Diktatur in Ostdeutschland“ die Rede ist. Die PDS, mit 32 Verordneten stärkste Fraktion, wehrt sich dagegen und besteht zudem auf einer Berücksichtigung der Geschichte vor 1949.

Zu Beginn der Diskussion zitiert die Vorsitzende der SPD-Fraktion, Kerstin Beurich, Voltaire: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“ Während CDU und SPD Stasiopfer eingeladen haben, hat die PDS drei Herren auf die Rednerliste gesetzt, die erneut Öl ins Feuer gießen. Einer ist Mitglied der „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“, die sich um Rentenansprüche ehemaliger Stasikader kümmert, Schulen vom Besuch der Gedenkstätte abrät und im März massiv aufgetreten ist. „Wir wenden uns entschieden gegen die Verteufelung Hohenschönhausens als Ort des Terrors“, verkündet der Mann. „Pfui!“- und „Buh!“-Rufe ertönen, die CDU- und SPD-Verordneten springen von ihren Sitzen, der BVV-Vorsteher entzieht ihm das Wort.

So ergeht es auch Mario Gartner, ehemals grüner Kommunalpolitiker aus Hohenschönhausen. „Die Gedenkstätte ist aktuell kein Ort der Aufklärung“, verkündet er im Namen der Bürgerinitiative „Unabhängige Anlaufstelle für BürgerInnen“. In einer von ihm verteilten Pressemitteilung steht, diese Feststellung sei auch Ergebnis einer „Auswertung vor Ort“. Ein Besucherreferent der Gedenkstätte erzählt, dass Gartner kürzlich mit einer Besuchergruppe erschienen ist, unter dem Namen „Licht-Blicke“, einem vom Bundesfamilienministerium unterstützten Netzwerk gegen Rechtsextremismus. „Sie fragten nach justiziablen Beweisen für Folter“, so der Referent, „die klassische Argumentation, die man sonst von Neonazis in Konzentrationslagern kennt“. Der dritte Redner, der ehemalige Honecker-Anwalt Friedrich Wolff, kann zu fortgeschrittener Stunde ungestört über „die fehlende Tatsachenkenntnis der Diskussion“ referieren.

Es ist 1 Uhr, als die 55 Bezirksverordneten abstimmen. Die Hälfte der PDS-Fraktion springt über ihren Schatten. Damit gibt es insgesamt 34 Ja-Stimmen für die Anbringung der Informationstafeln bis Ende Mai. BARBARA BOLLWAHN