Attac wartet auf das Fenster

Einst waren sie hip, in den vergangenen Jahren hat der Run auf die Globalisierungsgegner nachgelassen. 200 Attacis treffen sich am Wochenende zum „Ratschlag“ in Braunschweig und planen den G8-Gipfel in Heiligendamm

Die Schale mit den Curry-Käse-Brötchen bleibt unberührt, ganze vier Journalisten verlieren sich in der Riesenaula der TU Braunschweig. Kaum jemand möchte noch vermelden, dass die Vollversammlung der vor noch gar nicht so langer Zeit hippsten außerparlamentarischen Protestbewegung an diesem Wochenende in Braunschweig Kräfte sammelt.

Globalisierungsgegner von attac aus ganz Deutschland treffen sich zwei Tage lang zum „Ratschlag“, einer Art Parlament. 200 Unentwegte wollen über Strategie und Aktionen zu Tobin-Steuer, Lateinamerika, drohendem Iran-Krieg oder zur anstehenden Bahn-Privatisierung debattieren. Auch die „Attacis“ haben gelernt, die Stille in Worte zu kleiden. „Wir erleben eine Zeit der Konsolidierung“, sagt Oliver Moldenhauer. Der 35-Jährige war vor sechs Jahren Mitgründer von attac Deutschland.

„Wer weiß“, sagt Moldenhauer. Die Kampagne gegen die Bahn-Privatisierung könne „noch mal richtig abgehen“. Mittelpunkt des Ratschlags sind die Planungen für den G8-Gipfel im kommenden Sommer im Ostseebad Heiligendamm. Wenn die Polizei es zulässt, sollen 100.000 Protestler kommen. Normalos, Grüne, Autonome, aber auch viele attac-Leute. „Das ist der zentrale Mobilisierungspunkt für die gesamte Anti-Globalisierungsbewegung“, sagt Chris Methmann. Beim 24-jährigen Politik-Studenten aus Hamburg laufen die Fäden für die Gipfel-Vorbereitung zusammen.

Es ist ruhig geworden um die Globalisierungskritiker. Neidisch schauten die „Attacis“ im Frühjahr nach Frankreich, wo die Studentenproteste die Regierung in die Bredouille brachten. Seit den gut besuchten Hartz IV-Demos vor zwei Jahren ist vielen Deutschen die Lust an der Revolte offenbar völlig vergangen. Die hierzulande fehlende Kultur des Ungehorsams zeigt sich auch an den Zahlen: Mit 30.000 Mitgliedern hat attac in Frankreich fast doppelt so viele wie in Deutschland. Hier sind es 16.700.

„Wir sitzen sozusagen kauernd rum und sind da, sobald sich das ‚Window of opportunity‘ öffnet“, sagt Moldenhauer. Das „Fenster der Gelegenheit“ hat sich in den vergangenen Jahren für attac weitgehend geschlossen. Vorbei die Zeit, als nach dem Gipfel in Genua jede Woche 120 neue Mitgliedsanträge in der ehemaligen attac-Zentrale im niedersächsischen Verden eintrudelten und die von der rot-grünen Realpolitik Enttäuschten zu Tausenden zu attac-Kongressen strömten. PDS und WASG vereinnahmten Montagsdemos, die große Koalition in Berlin setzt auf Kuscheln statt Konfrontation. Von den „bürgerlichen“ rechtsgerichteten Reforminitiativen, der selbst ernannten APO des Kapitals, die einst „auf die Barrikaden“ gehen wollten, hört man ja auch nichts mehr. „Die Leute gehen nicht mehr auf die Straße. Sie gehen ins Ausland, um sich einen Job zu suchen“, sagte mal Phillipp Mißfelder, der Vorsitzende der Jungen Union, zum Schwächeln der Graswurzel-Bewegungen.

Immerhin: Im vergangenen Quartal gab es 200 Neueintritte, die Spendenentwicklung liege „deutlich über unseren Erwartungen“, sagt Politikstudent Methmann. Insgesamt bewegt das nun in Frankfurt residierende Netzwerk jährlich einen Etat von fast 1,2 Millionen Euro.

Moldenhauer setzt auf die Zeit, wenn dem schwarz-roten Stillstand Taten folgen: Wenn Gentechnik oder Gesundheitsreform wieder Konjunktur im Medienzirkus haben, könnte das die Renaissance der Antis von attac einleiten. „Vielleicht liegt es auch daran, dass wir keine Spaltungsdebatten wie die bei der Linkspartei haben“, witzelt Moldenhauer. Da müsse man am Wochenende „noch mal überlegen, ob wir da nicht was machen“.

Kai Schöneberg

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