Schläger an der Würstchenbude

Nach dem Überfall auf einen Togoer in Wismar beginnt die Debatte um den Hintergrund der Tat. Die geständigen Täter sind nicht wegen rechtsextremer Delikte vorbestraft. Opferinitiativen vermuten dennoch rassistische Motive

Die Täter kamen zurück, „um die Blutlache zu begutachten“, sagen Zeugen.

von Andreas Speit

Der Togoer, der am Dienstag in Wismar niedergeschlagen wurde, liegt immer noch im Krankenhaus. Er wird wegen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas behandelt. Die Verletzungen seien nicht lebensgefährlich, erklärte die Staatsanwaltschaft. Der 39-jährige Asylbewerber sei „kaum ansprechbar“, weil er starke Beruhigungs- und Schmerzmittel bekomme, sagt Mike Hartwig von der „Landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern e.V.“ (LOBBI). Nur für ein paar Minuten könne das Opfer, das seit 1997 in Deutschland lebt, Besuch empfangen.

Am Dienstagabend hatten drei Männer den Togoer in Wismar angegriffen. Gegen viertel vor elf umringten sie ihn auf dem Rudolf-Karstadt-Platz in der Altstadt. Nach kurzen Beschimpfungen schlugen und traten sie ihn nieder. Zeugen beobachteten, wie sie dann auf den Kopf des Mannes eintraten. „Zwei junge Frauen versuchten dem Opfer zu helfen“, sagte Staatsanwalt Hans-Christian Prick. Sofort sollen die Täter weggelaufen seien. Später kamen sie allerdings zurück „um die Blutlache zu begutachten“, so die Zeugen.

Kurz nach dem Angriff konnte die Polizei gleich zwei Täter, einen 24- und einen 23-Jährigen aus dem Landkreis Nordwestmecklenburg festnehmen – 50 Meter entfernt an einer Würstchenbude. Der dritte Verdächtige, ein 19-Jähriger aus Wismar, wurde später gefasst. Die älteren beiden räumten die Tat in der Untersuchungshaft ein. Allen drei wirft die Staatsanwaltschaft „gefährliche Körperverletzung“ vor. Einen ausländerfeindlichen Hintergrund wollte sie nicht ausschließen. Die genauen Tatmotive seien jedoch unklar.

Auch Innenminister Gottfried Timm (SPD) warnt vor „voreiligen Schlüssen“. Täter wie Opfer seien stark alkoholisiert gewesen und sollen „ein Stück gemeinsam gegangen“ sein. Bei der Polizei sind die Verdächtigen erfasst, allerdings nicht wegen rechtsextremer Taten, betont Timm. Bisher, so sein Pressesprecher, gebe es „keine Erkenntnisse, dass die Verdächtigen der rechten Szene angehören“. Auch die Befragung des Opfers lasse keine Rückschlüsse auf die Motive zu.

„Der Betroffene ist möglicherweise schwer traumatisiert“, hält Opferberatungs-Sprecher Hartwig dagegen. Die schnelle Vernehmung am Krankenbett verwundere ihn ohnehin. Ihm gegenüber habe sich ein leitender Ermittler beschwert, weil der Betroffene nur Französisch sprechen konnte. Vorwurfsvoll soll der Beamte berichtet haben, dass die Polizei auf eigene Kosten einen Dolmetscher heranziehen musste. Unverständlich für Hartwig. „Eine posttraumatische Reaktion kann das Zurückfallen in die Sprache sein, die man am meisten verwendet. Das sollte Ermittlern bekannt sein“, sagt er.

Hartwig weist darauf hin, dass die wenigsten rassistischen und rechtsextremen Taten von Mitgliedern einer neonazistischen Organisation begangen werden. Die Nichtverstrickung in die Szene dürfte dann aber auch nicht als Beweis für einen vermeintlich unpolitischen Tathintergrund herhalten. In Wismar besteht seit Jahren eine rechte Szene, die rund 50 Personen umfassen soll. Erst im März veranstalteten die Rechten ein Konzert vor Ort. Ein Tätowierstudio mitten in der Altstadt gilt als Szenetreff.

In einem Rundschreiben erklärt die Opferberatung LOBBI, dass laut Sicherheitsbehörden die Zuordnung von rechtsmotivierten Straf- und Gewaltdelikten eigentlich festgeschrieben ist. Ein solcher Delikt liege vor, „wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person gerichtet sind wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Behinderung“ oder sexueller Orientierung und „die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht“. Aus der Sprache der Behörden übersetzt, so Hartwig, heiße das: „Wenn ein Obdachloser von einer Jugendclique als ‚Scheiß-Assi‘ bezeichnet und geschlagen wird, wenn ein Punk von Rechten als ‚Zecke‘ oder ein Afrodeutscher als ‚Nigger‘ beleidigt und zusammengeschlagen wird, gelten die Taten als politisch rechts motiviert.“

Was die Täter in Wismar zu dem Togoer gesagt haben, bevor sie ihn zusammenschlugen, ist bislang noch nicht bekannt. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft lehnt zum „Tathintergrund“ jegliche Stellungnahme ab.