Wie könnten die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg bleiben?

BLEIBERECHT In Hamburg leben seit Monaten Flüchtlinge, um die sich nach den EU-Regeln eigentlich Italien kümmern müsste. Sie fordern vom SPD-Senat ein Bleiberecht, stoßen aber auf taube Ohren. Was könnte die Regierung tun, um ihnen eine Perspektive in der Stadt zu bieten?

Welchen rechtlichen Status haben die Geflüchteten der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“?

Nach eigenen Angaben kamen die 300 Menschen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus Libyen über die italienische Insel Lampedusa nach Hamburg. In Italien haben sie bereits ein Asylverfahren durchlaufen. Ab Ende 2012 beendete die italienische Regierung das EU-finanzierte Flüchtlings-Notprogramm. Den Flüchtlingen stellte sie für die Mitgliedsstaaten des Schengener Abkommens gültige Reisepapiere aus und drückte ihnen 500 Euro in die Hand – angeblich mit der Aufforderung, ihr Glück im reichen Nordeuropa zu suchen. Die Reisepapiere sind aber nur drei Monate gültig.

Was könnte der SPD-Senat tun, damit die Geflüchteten hier bleiben können?

Die EU-Regierungen haben sich 2003 im „Dublin II“-Vertrag darauf geeinigt, dass sich das Land um Asylsuchende kümmern muss, in dem sie das erste Mal europäischen Boden betreten. Der Hamburger Senat hat nach der „Dublin II“-Verordnung zwar das Recht, aber nicht die Pflicht, die Geflüchteten nach Italien zurückzuschieben. Denn gemäß „Dublin II“-Abkommen können Mitgliedsstaaten Asylanträge selbst dann prüfen, wenn sie nach EU-Regeln eigentlich nicht zuständig sind. Für dieses „Selbsteintrittsrecht“ können familiäre, kulturelle oder humanitäre Gründe sprechen.

Aus Sicht des Bundesinnenministeriums hat der Hamburger Senat aber noch andere Handlungsspielräume: Ihm steht es frei, Ausnahmen nach Paragraf 23 ff. im Aufenthaltsgesetz zu gewähren. So argumentiert auch die Lampedusa-Gruppe. Sie fordert ein Bleiberecht aus humanitären Gründen.

Woraus ließe sich ein humanitäres Bleiberecht begründen?

Letztlich geht es um die Frage, ob die Situation in Italien zumutbar ist oder nicht. Die Innenbehörde argumentiert, zwischen Bund und Ländern, dem UNHCR und den meisten Gerichten bestehe Einigkeit darüber, dass in Italien ausreichende Schutzstandards gewährleistet sind.

Die Unterstützer führen dagegen ins Feld, dass Gerichte in über 100 Fällen anders geurteilt haben. Die Verwaltungsgerichte in Oldenburg und Braunschweig urteilten beispielsweise, dass Italien kein sogenanntes sicheres Drittland sei, weil es wegen „systemischer Mängel“ keine menschenwürdige Unterbringung garantieren kann. Aus Sicht der Anwältin Daniela Hödl, die die Gruppe unterstützt, sind die die Zustände in Italien katastrophal. Den Flüchtlingen drohe ein Leben auf der Straße.

Warum fordern die Flüchtlinge eine Gruppenlösung?

Die Flüchtlinge wollen Einzelverfahren vermeiden, weil sie befürchten, dass damit die Abschiebung nach Italien besiegelt wäre. In einem offenen Brief an den Senat erklärt die Gruppe, sie sei grundsätzlich nicht dagegen, den Behörden Papiere auszuhändigen. Doch angesichts der „Ablehnung jeglicher Annäherung und Offenheit für unsere existenzielle Not, befürchten wir jedoch, dass Sie lediglich unsere unmenschliche Abschiebung vorbereiten wollen“.

Die Innenbehörde setzt dagegen auf eine Einzelfallprüfung und lehnt eine Gruppenlösung ab. Für diese sei keine Zustimmung des Bundesinnenministeriums zu erwarten. Überprüft hat Hamburg das aber nicht.

Warum macht die Polizei seit einer Woche Personenkontrollen?

Um den Konflikt zu lösen, haben die Kirche und der Senat Gespräche geführt. Nachdem sie gescheitert sind, will der Senat nun klare Verhältnisse schaffen. Die Innenbehörde versucht mit der polizeilichen „Operation Lampedusa“ die rund 300 Libyen-Flüchtlinge aufzuspüren, um ihre Personalien festzustellen.

Die Polizei begründet dieses Vorgehen mit dem Verdacht, die Geflüchteten hielten sich „illegal“ in der Stadt auf, weil das dreimonatige Aufenthaltsrecht überschritten sei. Deshalb kontrolliert die Polizei seit gut einer Woche verschärft dort, wo die Geflüchteten der Lampedusa-Gruppe unterkommen: In den Stadtteilen St. Georg und St. Pauli. Die Kontrollen aufgrund der Hautfarbe lösten in der Stadt Empörung aus.

Mittlerweile hat ein Flüchtling gegen die Personenkontrollen geklagt. Er habe mehr als sieben Stunden im Gewahrsam verbracht, man habe seine Fingerabdrücke abgenommen und ihn fotografiert, obwohl er sich bei der Kontrolle habe ausweisen können, sagt seine Anwältin, die Verfassungsrichterin Cornelia Ganten-Lange. Das Vorgehen der Polizei sei damit unrechtmäßig. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Arno Münster hat das als legitim bezeichnet: „Eine gerichtliche Überprüfung ist in einem Rechtsstaat völlig in Ordnung.“

Welche Konsequenzen haben die Kontrollen?

Mit dem Vorgehen der Behörden bestätigt sich das, was die Unterstützer befürchtet haben: Der einzige Flüchtling der sich namentlich bei der Ausländerbehörde gemeldet hatte, hat postwendend seine Ausreiseverfügung erhalten.

Darf die Polizei die Kirche kontrollieren, die den Geflüchteten seit Monaten Unterkunft gewährt?

Formal garantieren auch die Kirche und ein Kirchenasyl keinen Schutz vor polizeilichen Kontrollen. Um gegen den Willen der Kirche in die Räume zu betreten, bräuchte die Polizei allerdings einen Durchsuchungsbeschluss. „Unsere Maßnahmen enden an der Bordsteinkante“, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. In Hamburg hat die Polizei das seit 30 Jahren nicht mehr gewagt. LKA