Bahnhof Grunewald, vor 72 Jahren

ERINNERN AN DIE SCHOAH

„Die Jungen haben die Verpflichtung für die Zukunft, dass so etwas nie wieder geschieht“

Grobes Kopfsteinpflaster ist auf den Wegen zum Güterbahnhof Grunewald verlegt. Die Gleise sind tot, rosten vor sich hin. Ein leer stehender Güterschuppen zeigt Spuren des Zerfalls. Junge Birken erobern das Gelände, wo am Freitag vor 72 Jahren der erste Todeszug mit Berliner Juden in den Osten startete. 1.089 Kinder, Frauen und Männer weisen die Transportlisten der Gestapo für den 18. Oktober 1941 aus. Sie wurden in das Ghetto Lodz deportiert, von den Nazis Litzmannstadt genannt. Nur die wenigsten von ihnen haben überlebt. Mehr als 60 weitere Züge sollten in den Monaten und Jahren danach folgen, über 54.000 jüdische Berliner wurden so von der Reichsbahn in den Tod geschickt.

An diesem Freitag sind einige hundert Menschen gekommen, um dieser ersten Deportation und der Verschleppten und Ermordeten zu gedenken. Sie legen weiße Rosen am Denkmal „Gleis 17“ ab, wo auf Metallrosten, die in das Schotterbett eingelassen sind, mit Namen und Inschriften an jeden einzelnen Zug und seine Insassen erinnert wird.

Walter Frankenstein hat überlebt. Der 89-Jährige erinnert sich in seiner Rede an die Tage vor dem 18. Oktober 1941. Sein Cousin Fritz Hirschfeld hatte den Bescheid erhalten, dass er sich bei der Sammelstelle zu melden habe. Im Kreis der Verwandten sei diskutiert worden, ob er vielleicht zwei Mäntel übereinander anziehen sollte. Was in den kleinen Koffer gepackt werden könnte. Niemand habe gewusst, was die Deportation bedeute und wohin der Zug ging. Doch dass es furchtbar werden würde, darüber machte sich die Familie damals keine Illusionen.

Frankenstein und seine spätere Frau Leonie zogen daraus den Schluss: „Das lassen wir uns nicht gefallen!“ Die vierköpfige Familie – zwei Kinder wurden 1943 und 1944 geboren – überlebte im Versteck, gejagt von der Gestapo, dank der Hilfe nichtjüdischer Bekannter und Unbekannter. „Man kann nicht alle Deutschen verurteilen“, sagt Walter Frankenstein 72 Jahre später an der Grunewald-Rampe.

Schüler des Max-Planck-Gymnasiums sind gekommen, sie berichten von ermordeten Juden, die einmal dort gewohnt haben, wo sie heute zur Schule gehen. „Die Nachkriegsgenerationen trifft keine Schuld“, sagt Frankenstein dazu. „Aber sie haben die Verpflichtung für die Zukunft, dass so etwas nie wieder geschieht.“

Sein Cousin Fritz Hirschfeld hat die Nazizeit nicht überlebt. Sein Spur verliert sich im deutsch besetzten Polen. KLAUS HILLENBRAND