Sommer in Wolfsburg

Am Tag der Arbeit rechnet der DGB-Chef mit Großer Koalition und „internationalen Finanzhaien“ ab – mitten in Wolfsburg, wo Volkswagen angeblich 5.000 Stellen abbauen will. Gut gelaunt trotz allem: VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh

von KAI SCHÖNEBERG

Michael Sommer hat es an den Bronchen. Oft versagt dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) fast die Stimme, als er an diesem Tag der Arbeit gegen den „Kapitalismus der Hegdefonds und Rating-Agenturen“ wettert. Das Drehbuch hat Sommer an diesem schönen 1. Mai auf dem Ratshausplatz in Wolfsburg fast die gleichen Vokabeln wie bei der zentralen DGB-Kundgebung im vergangenen Jahr vorgeschrieben, damals in Mannheim. Sommer hüstelt gegen die „internationalen Finanzhaie“ und geißelt die „Gier“ mancher Unternehmer, die auch mit 20 Prozent Rendite nicht zufrieden seien. Das „Maß dieser Managerkaste“ sei nur „ihr eigenes Bankkonto, und nicht die Menschenwürde“, sagt der DGB-Chef - und erntet freundlichen Beifall der rund 10.000 Zuhörer.

Etwas ist anders als im vergangenen Jahr: Stand der 1. Mai da noch ganz im Zeichen von Franz Münteferings „Heuschrecken“-Kritik, geht es bei den Kundgebungen in diesem Jahr gegen eben diesen Franz Müntefering, inzwischen Vizekanzler. Sommer rechnet ab mit der Großen Koalition: Gesundheitsreform, Rente mit 67, Mehrwertsteuererhöhung, Kündigungsschutz, Kombilöhne – der Schulterschluss zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie wie damals, kurz vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen, existiert so nicht mehr. „In zentralen Vorhaben“ von CDU und SPD sehe er „keinen positiven Fortschritt“ mehr, sagt Sommer, „vielmehr ein Zurückweichen vor Kapitalinteressen“.

Die Interessen des Kapitals treiben in diesen Tagen viele in Wolfsburg um. Die VW-Stadt war als Ort der Hauptkundgebung gewählt worden, da der DGB „nach den Vorkommnissen im letzten Jahr hier ganz bewusst Flagge zeigen wollte“, so Sommers Vorredner Achim Barchmann. Zu den unappetitlichen Skandalen um VW-Betriebsratsmitglieder ist die Angst um die Jobs gekommen: 20.000 Stellen will Konzernchef Bernd Pischetsrieder streichen, 5.000 könnten es allein in Wolfsburg sein. Das wäre etwa jeder Zehnte in der größten Autofabrik der Welt, einem 1,5 Kilometer langen Ungetüm aus Stahl und Beton am Mittellandkanal. Und jetzt schon haben in Wolfsburg 6.600 Menschen keinen Job.

Reggae-Bands spielen, Kinder tollen auf Hüpfburgen, kolumbianische Gewerkschafterinnen erzählen von den schlimmen Arbeitsbedingungen zu Hause, Fahnen von ver.di, IG BCE und Transnet wehen. Ein Mann mit Glatze schlendert mit einer recht jungen Frau an der Hand vorbei an Kneipen und Bierständen, grüßt und scherzt mit Kollegen. Bernd Osterloh hat eine Jeansjacke an – und nichts deutet darauf hin, dass der mächtige VW-Betriebsratschef kurz vor der größten Machtprobe in seiner noch jungen Amtszeit steht. Sommer habe mit seinem Ruf nach mehr Solidarität angesichts des drohenden Stellenabbaus „den Nagel auf den Kopf getroffen“, sagt Osterloh. Nur zu einem „kein Kommentar“ kann er sich hingegen auf die Frage durchringen, wie sich der Aufsichtsrat am heutigen Dienstag zur Personalie Pischetsrieder entscheiden werde.

Mit dem Poker um die Vertragsverlängerung des VW-Chefs will Osterloh den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze bei VW durchboxen. Noch am Freitag hatte er Pischetsrieder nach einer Betriebsratssitzung attackiert: Dem gehe es in erster Linie um den „maximalen Abbau“ von Jobs. Einen Tag später dann berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass die zehn Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat am Dienstag eine Vertragsverlängerung des VW-Bosses verhindern wollten. Osterloh gehört dazu – und auch er weiß, dass schon ein paar Gegenstimmen den VW-Chef beschädigen würden.

Das dürfte am Mittwoch eine Reihe kritischer Fragen nach sich ziehen. Dann nämlich muss sich Pischetsrieder auf der Hauptversammlung den VW-Aktionären stellen. Das könnte auch gegen die „Würde“ des Automanagers gehen. Ob Pischetsrieder zu einer zweiten Wahlrunde im Aufsichtsrat antritt, darf zumindest bezweifelt werden.