Vertrauenskrise in die Angst

Ein Grammatikschnitzer geht um die gesamte Fernsehwelt und kriegt viele Junge

War vielleicht Unterernährung an Solidarität die Ursache des früheren Präsidenten?

Als die Archäologin Susanne Osthoff nach ihrer Befreiung aus der Gewalt irakischer Geiselnehmer angedeutet hatte, in den Irak zurückkehren zu wollen, brachten ungefähr 642 närrische Redakteure diese Nachricht auf die Formel, Frau Osthoff hege „Rückkehrabsichten in den Irak“. Gemeint war Susanne Osthoffs Absicht, in den Irak zurückzukehren, aber herausgekommen war ein agenturdeutscher Unfug: Die Absicht, in den Irak zurückzukehren, lässt sich nicht so einfach zu „Rückkehrabsichten in den Irak“ vermehren und verkürzen, denn „Rückkehrabsichten in den Irak“, das wären „Absichten in den Irak“, was Blödsinn ist.

Den die deutschen Journalisten und Politiker dennoch freudig aufgegriffen haben und nachplappern. Dem ZDF zufolge hat der Absturz eines Flugzeugs zu einer „Vertrauenskrise in die Sicherheit“ geführt, und da fragt man sich doch, was das ZDF sich unter einer „Krise in die Sicherheit“ vorstellt. Es genügt eben nicht, einer „Krise“ vorne ein anderes Hauptwort anzupappen, wenn man den logischen Zusammenhang zwischen einem Luftverkehrsunfall und dem Schwinden des Vertrauens der Passagiere zum Ausdruck bringen möchte. Vorläufig hat diese ZDF-Meldung nur zu einer Vertrauenskrise in den Mainzelmännchengrips geführt. Seufzend wechselt man das Programm und bekommt vom Sender Phoenix eine Dame gezeigt, die mit einigem Stolz ihre, wie es heißt, „Erinnerungsstücke an die DDR“ präsentiert. Stücke an die DDR? Das könnten nur Stücke sein, die Heinar Kipphardt oder Peter Weiss an die DDR verkauft hätten, in einer Zeit, als sie noch nicht „die ehemalige DDR“ genannt wurde, sondern real existierte. Die „Erinnerungsstücke an die DDR“ sind bestenfalls Erinnerungsstücke „aus“ DDR-Zeiten.

Was wiederum die Islam-Kritikerin Ayaan Hirsi Ali abgelegt hat, ist nach einem Bericht der FAZ vom 10. Februar 2006 „ein Glaubensbekenntnis in die Fähigkeiten der Muslime in der Welt, sich zu ändern“. Wer aber von einem „Glaubensbekenntnis in die Fähigkeiten“ spricht, legt damit nur ein offenes Bekenntnis in die eigene Unfähigkeit ab, Rückkehrabsichten in den deutschen Sprachraum zu hegen.

Dass früher nicht alles besser war, beweist ein Zitat aus einem Leserbrief von Jürgen Reents, erschienen in Konkret Nr. 3/1979: „Die Unterernährung an Solidarität ist für einen großen Teil der Linken leider immer noch hervorstechendes Merkmal ihres politischen Kräftezustands.“ Ein schöner Satz, der einiges über den Geisteszustand des von Jürgen Reents vertretenen Teils der Linken aussagt: So, liebe Kinder, hörte es sich an, wenn der rote Großvater, als er noch jung war, seinen Genossen etwas über ihren Mangel an Solidarität erzählen wollte, ohne es zu können.

Im 21. Jahrhundert sticht das Merkmal dieses sprachlichen Mangelschadens aus jeder zweiten Nachrichtensendung hervor. Öfter als nötig ist vor kurzem „die Todesursache des früheren jugoslawischen Präsidenten Milošević“ angesprochen worden. War vielleicht Unterernährung an Solidarität die Ursache des früheren Präsidenten? Nein, denn weder frühere noch amtierende Präsidenten haben eine Ursache, geschweige denn eine Todesursache. Ermittelt werden sollte nicht die Todesursache des ehemaligen Präsidenten, sondern die Ursache des Todes des ehemaligen Präsidenten. Ist das denn wirklich so schwer zu begreifen?

„Das Ergebnis“, schrieb Christiane Hoffmann am Gründonnerstag 2006 in der FAZ, „ist jene Berührungsangst mit dem Leben, die zwangsläufig unsere Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen muß“. Schade, dass der Dramatiker Edward Albee davon nichts wusste; sonst hätte er seinem berühmtesten Stück einen zugkräftigeren Titel verleihen können: „Wer hat Berührungsangst mit Virginia Woolf?“ Das große Thema der Berührungsangst mit Deutschfehlern hatte schon 2003 der Literaturwissenschaftler Friedrich Rothe in seiner Karl-Kraus-Biografie berührungsangstfrei gestreift und den Satz verbrochen: „Die konservativen Werte, die den Horizont der Zeitschrift bestimmten, führten nicht zur Berührungsangst mit der Welt, die Kraus bedrohte.“ Aua, sagt der Bauer, die „Berührungsangst mit der Welt“ ist zu sauer, die „Berührungsangst vor der Welt“ wäre zu süß – morgen gibt’s Gemüs bzw. hoffentlich eine bessere Welt, in der niemand mehr das stets falsch verbundene Wort „Berührungsangst“ in den Mund nimmt.

Letzte Meldung: Deutschlandradio berichtet, dass die iranischen Schiiten sich von der atomaren Aufrüstung „eine bessere Verhandlungsposition mit Israel“ versprächen. Gespannt sein darf man auf die weitere politische Entwicklung: Einst hatte das iranische Regime, wenn es gut aufgelegt war, eine Verhandlungsposition gegenüber Israel eingenommen. Jetzt strebt es also eine Verhandlungsposition „mit“ Israel an. Aber gegenüber wem nur? Dem Grammatikduden? GERHARD HENSCHEL