Frühstück mit Schildkröte

Energie Cottbus steht vor dem Aufstieg in die Erste Liga. Das liegt vor allem an Petrik Sander, Trainer der Lausitzer, der aus dem Schatten seines Vorgängers getreten ist

BERLIN/COTTBUS taz ■ Neulich sprang Petrik Sander für einen kurzen Moment über seinen Schatten. Unermüdlich hatten die Fans nach dem 1:1 bei Greuther Fürth seinen Namen gerufen. Erst winkte er noch ab, dann eilte er doch hinüber zum Gästeblock, verbeugte sich und legte die Hand aufs Herz: Emotionen, wie man sie von ihm noch nie sah. Doch kaum hatte Sander ein Mikrofon vor der Nase, zeigte er wieder die von ihm bekannte Mimik einer Schildkröte. „Ich nehme noch keine Glückwünsche an“, sagte er. So nüchtern, so sachlich und vielleicht auch deshalb bis dato von Fußball-Deutschland kaum beachtet, führt er in diesen Tagen Energie Cottbus zurück in die Bundesliga.

Sechs Punkte Vorsprung auf Rang vier lassen vor dem drittletzten Saisonspiel gegen Dynamo Dresden am Mittwoch kaum noch Zweifel aufkommen. „Das wäre eine Sensation“, sagt Präsident Michael Stein, der mittlerweile eine Aufstiegsprämie ausgelobt hat: „Unfassbar, was Petrik mit bescheidenen Mitteln geschafft hat.“

Derart gelobt, setzt Sander höchstens mal für Sekundenbruchteile ein spitzbübisches Lächeln auf: „Ich habe nur gut hingeguckt.“ Er habe also genau das getan, was schon immer seine Aufgabe war. Der heutige Cheftrainer war bis vor eineinhalb Jahren noch Assistenztrainer, Scout und Entdecker schillernder Figuren wie Vasile Miriuta, Tomislav Piplica oder Marko Topic, die drei bemerkenswerte Cottbuser Jahre in der Bundesliga geprägt haben. In dieser Saison ist es Sander gelungen, trotz reduzierten Budgets ein Ensemble zusammenzustellen, das „uns alle stolz macht“, wie Klubchef Stein schwärmt. Noch im Mai letzten Jahres sind die Lausitzer nur um ein Tor dem Abstieg entgangen – nun verblüffen sie die Konkurrenz. „Wir sind gerüstet für die Erste Liga“, betont Stein. Der Etat würde 19,7 Millionen Euro betragen und wäre der kleinste der Eliteliga. Es gäbe wenige Neuzugänge, fast alle kämen ablösefrei.

Als Energie Cottbus vor drei Jahren abstieg, schleppte der Verein 2,5 Millionen Euro Verbindlichkeiten mit, später sogar 4,5. Das hätte den Klub fast die Lizenz gekostet. Seit mehr als einem Jahr regiert ein eiserner Sparkurs. „Wir haben wieder eine Mannschaft, die für die Region, die Menschen hier spielt. Keine Söldner, sondern Spieler, die sich mit Energie identifizieren“, sagt Stein pathetisch.

Das ist ein Verdienst Sanders. Viele Spieler wie Francis Kioyo (Rot-Weiß Essen) oder Daniel Gomez (Alemannia Aachen) wurden anderswo aussortiert, nun prägen sie das Energie-Spiel. Gemeinsam mit Manager Ralf Lempke plante der 45-Jährige den Kader nicht am Schreibtisch mit Spielerberatern, was den Amtsvorgängern Eduard Geyer und Klaus Stabach vorgeworfen wurde, sondern sie unternahmen aufwändige Dienstreisen, um sich ein Bild zu machen, auch vom Charakter der Profis. „Das Betriebsklima ist entscheidend“, betont Sander. Lempke sagt, die Zeit, als unter dem bärbeißigen Geyer Kicker alleine gelassen und „zur Mama zum Ausweinen geschickt“ wurden, sei vorbei: „Wir sehen auch den Menschen hinter dem Spieler.“

Oft stehen Trainer und Spieler nach den Partien noch eng beieinander am Mittelkreis. Sander hat Rituale wie gemeinsames Frühstück eingeführt, um den Zusammenhalt zu stärken; zudem erläutere der Trainer auch jedem Reservisten persönlich, warum er nicht spielt. Der Mann ist auch deshalb so glaubhaft, weil er schon 1981 für Cottbus stürmte und „Energie vorlebt“, wie Stein sagt. Sander ist Kumpel, aber auch Respektsperson. Er wechselte schon mal Profis, die sich nicht an taktische Vorgaben halten, nach zwanzig Minuten aus, wie kürzlich Timo Rost. Quertreiber wie Youssef Mokhtari hat er ganz aus der Mannschaft befördert. Innerhalb kürzester Zeit ist er aus dem Schatten von Geyer getreten, der zehn Jahre lang Cottbus geprägt hat.

Beim letzten Heimspiel war Geyer als Fernsehkommentator im Stadion der Freundschaft. Die ganze Haupttribüne erhob sich ehrfürchtig, als er und Sander sich innig umarmten. „Der Pet“, sagte Geyer, „macht einen prima Job. Cottbus kommt wieder über den Kampf.“ Diese Kraft der zwei Herzen ist es, welche die Lausitzer auch früher beflügelte. Damals wie heute bemängeln Kritiker freilich die fehlende Spielkultur. Aber das ist für alle Cottbuser kein Thema. Sie, als kleiner Klub aus dem tiefen Osten oft belächelt, sind gerade wieder einmal dabei, es allen zu zeigen. Auch und vor allem Petrik Sander. MATTHIAS WOLF