Brau, Brauer, brau!

WIDER DEN DURST Warum es in der westfälischen Stadt Münster ein gar göttliches Getränk gibt

Er stieß einen Humpen mit seiner Hand gen Himmel, und ein Blitz schoss hernieder

Im Zuge der allgemeinen Kirchenkritik, die allüberall mit satanischen Tentakeln um sich greift, kam kürzlich doch ungeheuerlicherweise selbst die verbürgt ehrenwerte Stadt Münster in Westfalen ins Gerede. Ein Umstand, den wir so nicht dulden können, denn wir als Eingeborene wissen besser, wie es um die religiösen Vorlieben und Praktiken der angeblich so katholischen Münsteraner steht.

Mit den Münsteranern verhält es sich nämlich dergestalt, dass sie gern für den Rest der Welt die gläubigen Katholiken darstellen, in Wahrheit aber eingeschworene Sektierer sind, die nur an einen Gott glauben. Und sein Name ist Lambertus-Pinkus.

Lambertus-Pinkus erblickte, der Überlieferung nach, im Jahre seiner selbst – das war das Jahr 805 nach „dem Anderen“ – als Erstgeborener Sohn eines Böttchers und dessen angetrauten Weibes das Licht der Welt und nannte sich selbst später gern spaßhaft den „Erstgegorenen“.

Schon im zarten Alter von vier Jahren war in dem kleinen Lambertus-Pinkus die Gewissheit herangereift, dass das zur Verfügung stehende Bierangebot seiner unmittelbaren Umgebung keineswegs den Ansprüchen der unschuldigen und noch unverdorbenen Geschmacksnerven eines Kleinkindes gerecht zu werden vermochte. Ja, diese wässrige Brühe, die seine Eltern sich unterstanden, dem armen Knaben als „Bier“ zum Pumpernickel zu reichen, beleidigte jedes Empfinden seiner zarten Seele, und so jammerte und greinte er oft tagelang:

„Weh mir, weh! Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam? Die Nacht müsse verloren sein, welche sprach: Es ist ein Männlein empfangen. Derselbe Tag müsse finster sein, und Gott von oben herab müsse nicht nach ihm fragen! Und der Dampf am Tage mache ihn grässlich! Denn was ich trinken soll, lässt mich seufzen, und mein Heulen fährt heraus wie Wasser!“

Doch als der Knabe zum Manne reifte, das erstarkte auch sein Herz und er ward des Lamentierens müde und rief zu sich selbst und hoch in den Himmel: „Wie“, so rief er, „wie müsste ich mich von Grund auf hassen und verachten, wenn weiter ich in tumber Klage mich erginge, statt Brauer meines eigenen Glückes zu sein? Hat Gott mein Klagen je erhört? Hat ihn mein Flehen je gedauert? Bier will ich brauen, nach meinem Geschmacke, ein Bier soll es sein, das mir statthaft ist! Höre dies, Gott!“

Und mit diesem Ruf stieß er einen Humpen mit seiner Hand gen Himmel, und ein Blitz schoss hernieder und durchfuhr Humpen, Hand und den ganzen Lambertus-Pinkus, so dass dieser zu Boden stürzte und regungslos wie tot dort lag. Er ward auf ein Krankenlager gebettet, auf dem er drei Tage und drei Nächte mit dem Tode rang. In der ersten Nacht erstrahlte plötzlich ein Licht, das immer stärker wurde, bis der Raum endlich heller war, als am Mittag, und eine Gestalt trat an sein Lager, wie Lambertus-Pinkus noch niemals zuvor eine gesehen hatte. Ihr großzügiges Wams war von leuchtendem Blau, um den Hals trug die Erscheinung ein rotes Tüchlein, auf dem Kopf eine Mütze, einen Wanderstock in der Hand und auf dem Rücken eine riesengroße Kiepe, und so also trat sie an Lambertus-Pinkussens Bett. Als dieser sie erblickte, da fürchtete er sich zuerst ganz grauslig, doch bald verließ ihn die Furcht. Und der Kiepenkerl sprach mit tiefer Stimme zu ihm: „Braue, Lambertus-Pinkus, braue!“ Dies sprach er dreimal, bevor er auf dieselbe Weise wieder verschwand, auf die er gekommen war.

Dieses seltsame Spektakel, das einen schwächeren Erdensohn, als unser Lambertus-Pinkus einer war, gewiss für immer in den Irrsinn und ins Narrenhaus getrieben hätte, dieses Spektakel also wiederholte sich in der darauffolgenden Nacht ganz genauso, wie es in der ersten geschehen war, und in der dritten Nacht abermals.

Am nächsten Tage aber entstieg Lambertus-Pinkus seinem Krankenlager wie neu geboren. Und wer noch am Vortage hatte erleben müssen, wie er ächzend und stöhnend, mit eingefallenen Wangen und tiefschwarzen Rändern unter den Augen dem Gevatter Tod beinahe die feuchtkalte Hand zur Sense geboten hatte, der konnte nun nicht glauben, wie dieselbe Person, vor Kraft und Zuversicht strotzend, sich an das große Werk begab, der gesamten Menschheit – oder zumindest doch den Münsteranern (für welche das aber keinen ausnehmend großen Unterschied darstellen dürfte) –, der Menschheit also das Heil zu bringen und sie aus der Knechtschaft des schlechten Gebräus herauszuführen, hinein in ein Land, in dem Altbier mit Pfirsichen und Erdbeeren aus der Dose fließt: Lambertus-Pinkus schuf die süßliche Münstersche Altbier-Bowle – und er fand, dass sie gut war.

Und seither verehren und vergöttern die Münsteraner ausschließlich Lambertus-Pinkus, sie lobsingen ihm noch heute in abertausenden, eigens dafür errichteten Gebäuden, in denen sie sein Werk preisen und hektoliterweise anbieten und anbeten.

CORINNA STEGEMANN