Triumph im Narrenhaus

Beim Bundesparteitag der WASG haben sich die Befürworter der Parteifusion mit der PDS durchgesetzt. Die offene Frage ist: Zu welchem Preis?

AUS LUDWIGSHAFEN ASTRID GEISLER

Nun haben Oskar Lafontaine und seine Gefährten also gesiegt. Die Delegierten der WASG haben absegnet, was sie absegnen sollten. Sie haben den Fusionskurs bestätigt. Sie haben die Gegenspieler aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern aufgefordert, bei den Landtagswahlen im Herbst nicht gegen die Schwesterpartei PDS anzutreten. Sie haben dem Bundesvorstand zugebilligt, juristisch dagegen vorzugehen. Doch die Mienen der Gewinner lassen sich kaum unterscheiden von denen der Verlierer dieses Parteitages. Niemand jubelt. Niemand strahlt.

Bundesvorstand Klaus Ernst steht am Ausgang des Tagungssaals im Ludwigshafener Pfalzbau. Ein Delegierter aus Mecklenburg schlurft mit bunter Narrenkappe auf dem Kopf durch den Saal. Er findet, das sei die angemessene Kopfbedeckung in diesem „Narrenhaus“. Vorn am Mikrofon wettert eine Delegierte in schrillem Ton gegen Oskar Lafontaine und das Treiben der „Internationalsozialisten“. Ernst verzieht das Gesicht. Zwei Tage lauscht er schon derlei Einlassungen. „Es gibt Beiträge“, sagt er knapp, „die sind an Dummheit nicht mehr zu überbieten.“ Was für eine Liebeserklärung an die eigene Partei!

Keine 24 Stunden zuvor hatte Ernst selbst am Mikrofon gestanden, hatte gewarnt. Die Partei wirke derzeit, „als würde die Firma Müller Milch mit dem Slogan werben: Unsere Milch ist sauer!“ Damit müsse Schluss sein. Nun sieht er, was es gebracht hat.

Die alten Sorgen der WASG werden auch die neuen sein: Die Hauptstädter wollen weiter nicht mit der „neoliberalen“ PDS auf einer Liste zur Abgeordnetenhauswahl antreten. Auch die Genossen aus Mecklenburg-Vorpommern verkünden, sie wollten den Alleingang bei der Landtagswahl im September durchziehen. Der Bundesvorstand darf nun gegen die renitenten Basisverbände „alle Maßnahmen prüfen und gegebenenfalls ergreifen“, haben die Delegierten beschlossen. Die Mehrheit war knapp, 150 zu 110 Stimmen.

Sie wäre kaum zustande gekommen, hätte Lafontaine nicht zu später Stunde am Samstag eine Ergänzung geschluckt: „Parteiausschlüsse und die Auflösung von Landesverbänden sollen vermieden werden.“ Nur: Was heißt „sollen“?

Falls die PDS-feindlichen Landesverbände nicht – überraschend – doch noch einknicken, warten neue Machtproben auf die WASG. Nach Einschätzung von Vorstandsmitgliedern herrscht in der Parteispitze Konsens: Die Wahlanzeige der Berliner lässt sich nicht einfach zurückziehen. Sollte ihre Kampfkandidatur gegen die PDS noch zu verhindern sein, dann nur mit härteren Bandagen.

Konkrete Pläne wollte am Wochenende kein prominentes WASG-Mitglied offen legen. Der Bundesvorstand lasse die juristischen Möglichkeiten noch prüfen, sagte Helge Meves, der in der Steuerungsgruppe für die Fusion mit der PDS arbeitet. Ein Szenario: den Quertreibern „parteischädigendes Verhalten“ vorzuwerfen. Dann könnte der Berliner Landesvorstand abgesetzt werden. Ein anderes: den Alleingängern die Arbeit unter dem Namen WASG verbieten. Dafür sprechen Andeutungen von Parteivorstand Ernst, die Berliner könnten ruhig kandidieren, nur sollten sie sich dann bitte „Graswurzelpartei“ nennen. „Wir machen uns auf alles gefasst“, sagt die trotzkistische Berliner Spitzenkandidatin Lucy Redler. Ihre Gegendrohung lautet: „Dieser Kurs wird die Partei weiter spalten.“ Eine Befürchtung, die viele Delegierte teilten.

Es war die Art und Weise, wie die Fusionsstrategen Ernst und Lafontaine am späten Samstagabend ihre Linie durchpeitschten, die viele WASG-Mitglieder empörte. Vorstandsmitglied Joachim Bischoff warf beiden „Stillosigkeit“ vor. „Das darf nicht politische Kultur unserer Partei werden.“ Aus Protest traten Bischoff und zwei weitere Vorstände zurück. „Das war genau die Bastapolitik der Schröder-SPD“, zürnte auch Lafontaines Stellvertreterin in der Bundestagsfraktion, Inge Höger. Dieser Coup der Männercombo um Lafontaine werde viele Mitglieder aus der Partei treiben. Einige NRW-Delegierte hätten schon angekündigt, alles hinzuwerfen.

Der Ludwigshafener Parteitag dürfte jedem in der WASG-Spitze klar gemacht haben: Die Gegner des angeblich „autoritären“ Lafontaine-Kurses sind nicht nur ein paar Spinner aus Berlin und der mecklenburgischen Provinz. Gerade mal neun Stimmen fehlten dem Chef der Redler’schen Trotzkisten-Gruppe Sozialistische Alternative Voran – dann wäre er in den Bundesvorstand der WASG eingezogen. Als bayerische Delegierte einen Ausschlussantrag gegen die Trotzkisten verteilten, reagierten auch die Altgewerkschafter im Saal so zornig, als sollten sie die 60-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich beschließen.

Alles kein Grund für einen Kurswechsel, bekräftigt Bundesvorstand Klaus Ernst. Natürlich wolle man „so viele Mitglieder wie möglich mitnehmen“. Aber für ihn gibt es nur eine Richtung: vorwärts, zur Fusion. „Bei den Grünen“, tröstet er sich, „war’s doch anfangs noch viel schlimmer.“