Von Pfarrern und RAF-Terroristen

SCHAU Das evangelische Pfarrhaus ist ein Mythos. Nun widmet ihm das DHM eine Ausstellung

Auf dem Tischchen stehen die Sherry-Flaschen, die Pfarrersfrau ist auf der Wohnzimmer-Couch in die Lektüre von „Peter Pan“ versunken. Der Pfarrer selbst sitzt in Pepita-gemusterter Hose bequem im englischen Knopfleder unweit des Kamins. Die romantische Hausidylle wirft ein Licht darauf, wie erstrebenswert das Leben als anglikanischer Landpfarrer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewesen sein muss. Den romantischen Blick in das „Pfarrhaus von Hampton Lucy“ erlaubt ein kleines hölzernes Puppenhaus aus dem Jahre 1950. Es ist eine der Hauptattraktionen in der Ausstellung „Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses“, die ab Freitag im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen ist.

In sechs Kapiteln widmet sich die Schau dem Alltag, der Bildung, der Kindererziehung, aber auch dem wissenschaftlichen Streben und den moralischen Vorstellungen in protestantischen Pfarrhäusern. Teure Badkeramik oder hochpreisige Kunstwerke begegnen dem Besucher nicht, dafür jede Menge Bilder, Bücher und manch anderes interessantes Ausstellungsstück. Wie etwa ein altes Fahrrad, das die Frage aufwerfen soll, ob ein Pfarrer Rad fahren dürfe.

Auf dem Dorfe sollte er „Pionier bürgerlicher Gesinnung sein und nicht Bauer unter Bauern“, erklärt Ausstellungskurator Bodo-Michael Baumunk. In der Stadt erwartete man von ihm Teilhabe am öffentlichen Leben, aber doch nicht „allzu viel Anteilnahme an gesellschaftlichen Zerstreuungen“. Ein Spagat für den Pfarrer und eine Herausforderung für die Ausstellungsmacher, das vielschichtige Leben in evangelischen Pfarrhäusern in 500 Jahren abzubilden.

„Wir wollen das Pfarrhaus-Thema vom Kopf auf die Füße stellen“, erklärt Baumunk seinen Ansatz. Oft werde das Pfarrhaus als Kinderstube berühmter Dichter und Denker verklärt. Im Mittelpunkt der Ausstellung stünden jedoch Fragen wie: Was macht ein Pfarrer eigentlich? Und: Wie lebt seine Familie – und wovon?

Die Idee für die Ausstellung ist schon fast zehn Jahre alt. Dass aktuelle politische Entwicklungen ihre Realisierung durchaus erleichtert haben, gibt Baumunk unumwunden zu. Dennoch kommt die Ausstellung ohne die oft erwähnten Pfarrhäuser von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck aus.

Dafür finden sich jede Menge anderer protestantischer Protagonisten in den Kapiteln „Der geistliche Stand im Protestantismus“, „Amt und Habitus“, „Statusfragen“, „(Seelen-)Haushalt“, „Gelahrtheit“ und „Zwei Reiche“. Ein „Seitenblick“ ist dem katholischen als dem „anderen Pfarrhaus“ gewidmet.

Am Anfang der Schau stehen Amtstrachten, Talare und Beffchen. Die Ausstellungsmacher lassen dabei auch einen Blick ins Kuriositätenkabinett zu. So wird der orange-rote Talar eines Alt-68er Vikars aus dem Schwäbischen gezeigt, der dem Vernehmen nach eine nicht minder provokante Prüfungspredigt gehalten haben soll.

Politisch und bedrückend wird es, wenn es um die Kirche in der NS-Zeit und später im geteilten Deutschland geht. Neben den Friedensbuttons eines Pfarrers findet sich ein Fahndungsplakat mit RAF-Terroristen. Es steht für die Frage, warum die Herkunft von Gudrun Ensslin aus einem evangelischen Pfarrhaus als „milieuprägend“ interpretiert wurde, während bei den 18 anderen Abgebildeten niemand den Beruf der Eltern auch nur zu nennen wüsste. An kaum einer anderen Stelle der Schau wird so plastisch, wie mystisch aufgeladen das evangelische Pfarrhaus ist. JENS BÜTTNER/EPD