„Ich hatte noch nie so viel Energie“

AMERICAN PIE Donald Lutz wäre gern dabei, wenn in der Major League Baseball um den Titel gespielt wird. Doch sein Team ist längst ausgeschieden. Dennoch liegt eine historische Saison hinter ihm. Er hat als erster Deutscher in der US-Superliga gespielt

■ Der 24-Jährige ist der erste Deutsche, der es bis in die Major League Baseball (MLB), die höchste Spielklasse im Baseball, geschafft hat. Lutz wurde in den USA als Sohn eines Amerikaners und einer Deutschen geboren. Mit 16 Jahren begann Lutz in Friedberg mit dem Baseball, zwei Jahre später wurde er von den Cincinnati Reds verpflichtet. Im April wurde er erstmals in einem MLB-Spiel eingesetzt.

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Herr Lutz, heute beginnt die World Series im Baseball. Wem drücken Sie die Daumen?

Donald Lutz: Niemandem. Ich hab keine große Lust, hier auf der Couch zu sitzen und denen zuzusehen. Ich würde da lieber selber stehen.

Schmerzt es immer noch, dass Ihr Klub, die Cincinnati Reds, in der ersten Runde der Playoffs ausgeschieden ist?

Ja, das war natürlich ärgerlich. Ich musste mich bereithalten, falls sich noch jemand aus dem Kader verletzt hätte. Aber selbst wenn die Reds weitergekommen wären, waren die Chancen nicht groß, dass ich tatsächlich zum Einsatz gekommen wäre, weil ich mir Mitte August meinen Finger gebrochen hatte.

Am 29. April durften Sie zum ersten Mal für die Reds in der Major League aufs Feld – als erster Spieler, der in Deutschland aufgewachsen und ausgebildet wurde. Wie war das?

Man kann das kaum beschreiben. Es waren gemischte Gefühle, einerseits natürlich super, andererseits die Anspannung, wenn man weiß, dass man zum ersten Mal vor 50.000 Leuten spielen muss. Ich hab zwar versucht, mir zu sagen, ich sollte einfach nur Spaß haben, aber ich war natürlich nervös. In der Nacht vor dem ersten Spiel habe ich nur eine Stunde geschlafen.

Das ist nicht viel. Hatten Sie keine Angst, auf der Bank einzuschlafen?

Nein, da hat man so viel Adrenalin im Körper. Ich hatte so viel Energie wie noch nie in meinem Leben.

Ihr Glück war das Verletzungspech eines Kollegen.

Ja, der, für den ich in die Mannschaft kam, hatte sich am Oberschenkel gezerrt. Ursprünglich sollte ich nur zwei Wochen in Cincinnati bleiben, aber daraus sind dann wider Erwarten acht geworden.

Was war der beste Moment aus dieser Zeit?

Der geilste Moment war mein erster Homerun. Das war am Muttertag. Spätestens da wusste ich, dass ich mithalten kann da oben.

Waren Sie sich der historischen Tragweite dieser Wochen bewusst?

Ein bisschen schon. Ich habe schon in Amerika ein wenig Aufmerksamkeit von der Presse bekommen, jedenfalls mehr als ihn ein ganz normaler Neuling bekommen hätte. Aber richtig bewusst ist mir das alles erst geworden, als ich zurück nach Deutschland kam, alte Baseball-Freunde getroffen habe, die mir erzählt haben, was für Partys sie gefeiert haben.

Ich will mich jetzt nicht darauf ausruhen. Es muss weitergehen

Sie stehen jetzt in den Geschichtsbüchern.

(lacht) Ja, was soll man dazu sagen? Ich will mich jetzt nicht darauf ausruhen. Es muss weitergehen.

Sie wurden bereits 2007 von den Reds verpflichtet und sind in die USA gegangen. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie in die Mannschaft kamen?

Das geht fast allen jungen Spielern so. Unter den Major Leagues gibt es die Minor Leagues, in denen die Talente Spielpraxis sammeln. Das sind sechs Level, durch die man sich hocharbeiten muss. Das dauert eben seine Zeit. Als ich mit 19 Jahren meinen Profivertrag unterschrieben habe, hatte ich ja eigentlich erst drei Jahre Baseball gespielt. Da konnte ich eigentlich nicht mithalten mit den Jungs in Amerika, die mit vier Jahren mit dem Baseball angefangen haben. Dann habe ich mir im zweiten Jahr auch noch die Hand gebrochen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich mich einigermaßen angepasst hatte. Vor allem das Pitching ist nicht zu vergleichen mit dem, was man hier selbst als Nationalspieler sieht. Die werfen einfach viel härter. Daran muss man sich erst gewöhnen.

Im Frühjahr 2012 durften Sie dann erstmals zum Spring Training der Reds, dem Vorbereitungslager, in dem der Major-League-Kader zusammengestellt wird.

Ja, aber das lag vor allem daran, dass ich schon fünf Jahre in der Organisation der Reds war. Deshalb mussten die mich, wie sagt man das auf Deutsch? Protecten. Sichern? Wer fünf Jahre unter Vertrag ist, aber nie im Major-League-Kader stand, der kann von jeder anderen Mannschaft für nur 50.000 Dollar Ablöse weggeschnappt werden. Also, da war mir schon klar, dass ich es nicht ins Major-League-Team schaffen würde, sondern dass es vor allem darum gegangen ist, ein bisschen Luft da oben zu schnuppern.

In diesem Sommer haben Sie es dann endgültig geschafft, mussten aber, um in die Majors zu kommen, die Position wechseln.

Ja, ich habe lange nur First Base gespielt und bin dann im vergangenen Jahr ins Outfield gewechselt. Die Umstellung war aber nicht so schwer, wie ich gedacht habe. Aber das war nötig, denn Joey Votto …

der reguläre First Baseman der Reds …

… der ist All-Star und hat im vergangenen Jahr einen 10-Jahres-Vertrag über 225 Millionen Dollar unterschrieben. Der wird so schnell nirgendwo hingehen. Also wurde mir von den Reds nahegelegt, doch die Position zu wechseln. Im Outfield hat man mehr Chancen, zum Einsatz zu kommen, da gibt es drei Positionen.

■ Spitzenendspiele: Heute Nacht sind die Boston Red Sox Gastgeber des ersten von maximal sieben Spielen gegen die St. Louis Cardinals, in denen der Meister der Major League Baseball ermittelt wird. Lutz’ Klub, die Cincinnati Reds, waren in der ersten Runde der Playoffs ausgeschieden. Mit den Red Sox und den Cardinals treffen die besten Teams der regulären Saison in den Finalspielen aufeinander. Boston, der Meister der American League, hat mit 97 Saisonsiegen ebenso viele Spiele gewonnen wie die Cardinals, die Champions der National League. 2004 spielten beide Klubs schon einmal um den Titel. Die Red Sox gewannen die Serie mit 4:0.

Nach acht Wochen in den Majors mussten Sie aber, als alle Stars wieder fit waren, zurück in die Minor Leagues. Eine große Enttäuschung?

Nein, die acht Wochen waren mehr, als ich erwarten durfte. Aber es war eine Umstellung: Bei der ersten Auswärtsfahrt habe ich außer meinen Schuhen alles vergessen, das Trikot, die Hosen, alles. In den Majors wird einem alles hinterhergetragen, in den Minors muss man seine Tasche selber packen. Da hab ich gemerkt, ich bin zurück in den Minors – und muss wieder neun Stunden im Bus sitzen, anstatt eine Stunde mit dem Privatjet zum Auswärtsspiel zu reisen.

Wie geht es für Sie jetzt weiter?

Demnächst fliege ich nach Venezuela, um einige Monate in einer Winter League zu spielen. Das Niveau dort ist schon ziemlich nah dran an den Majors, da spielen viele Major-League-Spieler nicht nur aus Lateinamerika, viele Leute, die auf dem Sprung sind. Und dann geht es Ende Februar schon wieder ins Spring Training mit den Reds.

Wollen Sie diesmal einen festen Platz im Major-League-Kader?

Die Chancen sind jedenfalls nicht unrealistisch. Ich hoffe, dass ich mich dann mit guten Leistungen in der Mannschaft festbeißen kann. Wenn ich mich gut anstelle, dann kann ich mir meinen Platz verdienen.