Schlechte Noten fürs Quartäre

WEITERBILDUNG Die deutschen Universitäten vernachlässigen ihr Angebot für Berufstätige. Ihr Angebot ist mager oder teuer. Eine Ausnahme hat sich schon lange bewährt

Die etwa 68.000 Studierenden zahlen vor allem Materialbezugsgebühren

VON ANSGAR WARNER

„Aufstieg durch Bildung“ verspricht die Bundesregierung im Rahmen ihrer groß angelegten „Qualifizierungsinitiative“. Bildungsprämien, Weiterbildungssparen und spezielle Studienkredite sollen auch Arbeitnehmern ermöglichen, akademische Bildung nachzuholen. Doch wo sind sie eigentlich, die Handwerksmeister, die neben der Arbeit her einen Master machen, oder die kaufmännischen Angestellten, die nach Ladenschluss BWL büffeln? „Es gibt dazu keine zuverlässigen Zahlen“, bedauert Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. In der Sozialerhebung des DSW gelten all diejenigen als Teilzeitstudierende, die weniger als 26 Stunden pro Woche an der Uni verbringen. „Aktuell liegt die Quote bei 21 Prozent, darunter sind zahlreiche Studierende, die nebenbei jobben müssen“, so Grob. Wie viele unter ihnen umgekehrt Arbeitnehmer sind, die nebenbei studieren, lässt sich nicht so einfach sagen. „Das liegt auch daran, dass von den etwa 11.000 Studiengängen in Deutschland nur etwa 2 bis 3 Prozent formal als Teilzeitstudiengänge gelten“, so Grob. Nur ein paar hundert Studiengänge berücksichtigen von vornherein die organisatorischen Bedürfnisse von Arbeitnehmern, indem sie etwa Lehrveranstaltungen am Abend anbieten.

„Die Hochschulen dürfen sich nicht länger allein als wissenschaftliche Ausbildungsstätten zwischen Abitur und Berufseintritt begreifen“, moniert deshalb Andreas Schlüter, Generalsekretär des Stifterverbands. Ziel müsse es in Zukunft sein, „passgenaue Angebote für die lebenslangen Lernbiografien zu schaffen“. In einer Studie des Stifterverbands zur „Quartären Bildung“, also dem, was zeitlich nach Schule und Berufsausbildung kommt, bekamen die Weiterbildungsangebote an deutschen Universitäten schlechte Noten. Im Vergleich zu privaten Anbietern sei die Alma Mater „nicht Platzhirsch, sondern Herausforderer“. Das Bild werde beherrscht durch einen „undurchsichtigen und wenig formalisierten Markt akademischer Angebote“. Um die Lage zu verbessern, will man einerseits Professoren motivieren, sich auf diesem bisher vernachlässigten Feld zu engagieren. Privaten Ausgründungen sollen den Hochschulen zudem ermöglichen, den Bereich Weiterbildung als Cash-Cow zu nutzen.

Kräftig gemolken wird bisher vor allem an der Freien Universität Berlin. Im Herbst 2009 nahm im Berliner Villenvorort Dahlem die „Deutsche Weiterbildungsuniversität“ ihren Betrieb auf, je zur Hälfte finanziert von der FU und der Klett Gruppe, dem führenden privaten Bildungsanbieter in Deutschland. „Die DUW bietet zweijährige Masterstudiengänge mit internationaler Ausrichtung, aber auch weiterbildende Zertifikatsprogramme, die zwischen zwei und acht Monate dauern“, so Annika Noffke, Pressesprecherin der DUW. Wer seiner Karriere durch vertieftes Wissen in Bereichen wie „Organisations- und Personalentwicklung“, „European Public Affairs“ oder „Drug Research“ auf die Sprünge helfen will, wird allerdings kräftig zur Kasse gebeten. Pro Monat zahlt man an der DUW zwischen 600 und 900 Euro. Dafür sind die Lehrangebote perfekt auf die zeitlichen Bedürfnisse berufstätiger Menschen angepasst: „Die DUW setzt auf Blended Learning, das heißt auf eine Mischung aus klassischem Fernstudium und speziellen Online-Einheiten sowie aus Präsenz- und Praxisphasen“, erklärt Noffke.

Während von Unternehmerseite das maßgeschneiderte Weiterbildungskonzept der DUW einhelliges Lob erfahren hat, stehen die Gewerkschaften den privatwirtschaftlichen Eskapaden staatlicher Unis skeptisch gegenüber: „Weiterbildungsangebote gehören zu den Kernaufgaben der öffentlich finanzierten Hochschulen und sollten deswegen für Arbeitnehmer kostenfrei zur Verfügung stehen“, kritisiert Mathias Jähne, bei der GEW Berlin zuständig für den Bereich Hochschule und Forschung.

Es geht jedoch auch ganz anders, das zeigt das Beispiel der öffentlichen Fernuniversität Hagen. Seit mehr als dreißig Jahren verschickt man aus der Ruhrgebietsstadt „Studienbriefe“ hinaus ins Land und betreibt zahlreiche Regionalzentren, um Studierenden die Präsenzphasen zu erleichtern. Mittlerweile gibt es zusätzlich einen virtuellen Campus, auf dem man nicht nur mit den Kommilitonen, sondern auch mit den Profs chatten kann. „Etwa 68.000 Studierende sind momentan bei uns eingeschrieben und zahlen dafür vor allem Materialbezugsgebühren“, so Pressesprecherin Susanne Bossemeyer. Mit dem „Akademiestudium“ bietet man Arbeitnehmern auch die Möglichkeit, gezielt auf einzelne Module zuzugreifen, für die es dann Zertifikate gibt. Ein Masterabschluss kostet zwischen 1.000 und 2.000 Euro, einzelne Module kann man ab 60 Euro belegen. Ob Bachelor, Master oder Zertifikat, meistens geht es dabei um Weiterbildung, betont Bossemeyer: „Achtzig Prozent unserer Studierenden sind berufstätig.“