Mit halber Kraft für den Naturschutz

UMWELTMINISTERIUM Norbert Röttgen besetzt die Leitung für die Abteilung Naturschutz neu – mit seiner Vertrauten Getrud Sahler. Dabei hat sie für den Job kaum Zeit, denn nebenbei bleibt sie seine Büroleiterin

„Naturschutz ist kein Luxusthema“, sagt Minister Röttgen „Das Thema wird in die Bedeutungslosigkeit geschoben“, meinen Beobachter

BERLIN taz | Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagt es gerne so: „Naturschutz ist kein Luxusthema, sondern es geht um unsere Existenz.“ Die Lage ist ernst, soll das heißen. Und dass sich der Mensch selbst schadet, wenn er unablässig Wälder abholzt, Wiesen betoniert, Flüsse begradigt, weil die unzähligen Organismen für frische Luft, sauberes Wasser oder nahrhaftes Korn sorgen. Es ist noch keine fünf Monate her, dass Röttgen meinte: „Wir sind verpflichtet, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, die biologische Vielfalt im Jahr 2010 noch fester auf der globalen politischen Agenda zu verankern.“ Jetzt trifft Röttgen eine Personalentscheidung, die dem zuwider läuft.

Gertrud Sahler, CDU, Rheinländerin, ist eine enge Vertraute Röttgens. Sie leitet sein Ministerialbüro in Berlin. Sahler war schon Angela Merkels Pressesprecherin, als diese noch nicht Kanzlerin, sondern Bundesumweltministerin in der Regierung Kohl war. Sie hat gute Kontakte ins Kanzleramt, weiß wie Politik funktioniert. Nun soll sie die Abteilung Naturschutz und Naturnutzung des Bundesumweltministeriums in Bonn leiten. Das wird Röttgen dem Kabinett nach taz-Informationen vorschlagen.

Das hört sich zunächst gut an. Sahler ist nicht neu im Naturschutz. Sie hat in der Abteilung schon das Referat geleitet, das sich mit Sport, Tourismus und Nationalparks beschäftigt, bevor Röttgen sie in seinen engeren Mitarbeiterstab holte. Sie hat dort „ordentliche Arbeit“ gemacht, heißt es. Nun macht sie einen ordentlichen Karrieresprung. Oben ist die Abteilungsleitung, darunter die Unterabteilungsleitung, dann kommt das Referat. Nur wird sie nicht mit voller Kraft arbeiten können: Denn sie behält auch ihren Posten im Ministerialbüro. Sie muss zwischen den beiden Jobs hin und her switchen. „Damit wird der Naturschutz in die Bedeutungslosigkeit geschoben“, sagen langjährige Beobachter. Denn jede der beiden Aufgaben für sich gilt schon nicht als normaler Vierzigstundenjob.

Im Naturschutz gibt es für Sahler gut zu tun. In Deutschland gilt jede dritte Art als bedroht; weltweit sterben täglich bis zu 130 Arten aus, schätzen die Experten. Längst sind nicht mehr nur Exoten bedroht, sondern auch Allerweltsarten wie der Spatz. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science beklagen internationale Forscher – Hauptautor ist Stuart Butchart vom World Conservation Monitoring Centre des UN-Umweltprogramms (UNEP) –, dass nichts auf ein Ende des Artentods hindeute. Das sollte längst anders sein.

Im Jahr 1992, Rio, UN-Umweltgipfel: Die Staatengemeinschaft einigt sich nicht nur auf eine Konvention zum Klimaschutz, sondern auch auf eine zur biologischen Vielfalt. Das Präsidium dieser Konvention leitet derzeit – Deutschland. Nimmt man Röttgens Worte ernst, müsste die neue Leiterin Naturschutz die Konvention voranbringen. Sie müsste darum sofort die nächste UN-Naturschutzkonferenz vorbereiten: Schon im Oktober soll in Japan über die Begrenzung der Biopiraterie, über ein weltweites System von Schutzgebieten und deren Finanzierung verhandelt werden. Sahler, die wenig Englisch spricht, müsste jetzt Vorgespräche führen, weltweit.

Röttgen ließ den Posten, den Umweltschützer eine „Schlüsselposition“ nennen, acht Monate unbesetzt. Sahlers Vorgänger, Jochen Flasbarth, wurde im September letzten Jahres Chef des Umweltbundesamtes. Flasbarth hat der einstigen schwarz-roten Regierung zum Beispiel eine Strategie zur biologischen Vielfalt aufgedrückt, 256 Seiten, 330 Ziele, 430 Maßnahmen. Er ist tagelang unterwegs gewesen, hat internationale Verhandlungen geführt. „Das ist ein Job, den kann man nicht mal einfach so machen“, sagen seine ehemaligen Kollegen. Das Bundesumweltministerium wollte sich auf Anfrage zu der Personalie nicht äußern. HANNA GERSMANN