Schneewittchen in Osnabrück

AKZENTE Es wird wieder gestritten werden: Das Unabhängige Filmfest Osnabrück hat einige polarisierende Filme im Programm

Kein anderes Filmfest in Norddeutschland hat über die Jahre so um seine Finanzierung kämpfen müssen, und dies hat eindeutig auch mit der betont politischen Ausrichtung des Unabhängigen Filmfests Osnabrück zu tun. Im Moment scheint der Fortbestand gesichert zu sein, es ist von einer dreijährigen Verlängerung des städtische Zuschusses und einem neuen Stifter für den Friedenspreis die Rede. Am Mittwoch wurde die 28. Ausgabe des Filmfestes eröffnet.

In seinem zweiten Jahr kann der Leiter Florian Vollmers einige neue Akzente setzten. So gibt es etwa erstmals die Programmschiene „Filmfest Extrem“, in der Genrefilme wie der spanische Animationsfilm „Der Apostel“ über einen Sträfling auf dem Jakobsweg und der schwedische Polit-Thriller „Call Girl“ gezeigt werden.

Andererseits gibt es immer noch Konstanten: Wenn es einen neuen Film von Michael Winterbottom gibt, dann wird er mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Osnabrück gezeigt. In „Everyday“ erzählt der britische Filmautor von einem Vater, der im Knast sitzt und seine Kinder immer nur für eine kurze Zeit sehen kann. Der Film wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren gedreht, und so sieht man gemeinsam mit dem Protagonisten, wie schnell seine Kinder ohne ihn groß werden.

In diesem Jahr werden auch wieder Erfolgsfilme von größeren Festivals nachgespielt. Dadurch wirkt das Programm kulinarischer. Ein gutes Beispiel dafür ist der spanische Spielfilm „Blancanieves“. Wie „The Artist“ ist er als Stummfilm in Schwarzweiß gedreht. Die schöne Grundidee des Regisseurs Pablo Berger besteht darin, das Märchen „Schneewittchen“ in das Milieu der Stierkämpfer zu verpflanzen. Traditionelle Geschlechterrollen werden umgekehrt, die Prinzessin beweist schließlich in der Arena, dass sie die Tochter eines berühmten Toreros ist. Das ist poetisch und mit viel Witz erzählt. Eine Entdeckung.

Eher in der Tradition des Festivals und für den Friedenspreis nominiert ist einer der provokantesten Filme der letzten Jahre. In der Dokumentation „The Act of Killing“ hat der Regisseur Joshua Oppenheimer in Indonesien Folterer und Mörder dazu gebracht, ihre Taten im Stil von Genrefilmen zu inszenieren. Als Sieger des Militärputsches von 1965 wurden sie nie verfolgt und verurteilt, und ihnen fehlt jegliches Schuldbewusstsein. Die von ihnen gedrehten Szenen sind monströs – selten offenbart sich das Böse so verstörend wie hier.

Um die Extreme der menschlichen Natur geht es auch in „Tore tanzt“ von Katrin Gebbe. Erzählt wird eine moderne Passionsgeschichte: Tore ist ein junger Mann, der seinem Vorbild Jesus folgt. Er wird von einer armen Familie aufgenommen, die durch seine Passivität und Leidensfähigkeit zu immer grausameren Demütigungen angestachelt wird.

Kompromisslos verweigert Katrin Gebbe jede Erklärung und versucht stattdessen so wahrhaftig wie möglich zu zeigen, wie sich diese wahre Geschichte zugetragen hat. Über diesen Film wird auch in Osnabrück viel gestritten werden.  HIP

Unabhängiges Filmfest Osnabrück: noch bis zum 27. Oktober