LESERINNENBRIEFE
:

Menschenwürdiges Leben gesucht

■ betr.: „Studienplätze statt Bootsplätze“, taz vom 19. 10. 13

Dass es in Europa zu wenige Studienplätze für afrikanische Studienwillige gibt ist sicher richtig. Der Tenor des Artikels muss aber leider in den Sätzen: „Hoffnung sollte dadurch entstehen, dass man in der Heimat bleibt und Studienplätze in Europa beantragt“ und „Wir müssen die Gesetze ändern, damit ein junger Afrikaner nicht länger dadurch, dass er an einem Strand landet, von jemandem, dem Europa Hilfe verweigert, in jemanden verwandelt wird, den Europa widerwillig an den Rändern seiner Wirtschaft und Gesellschaft duldet“ gesehen werden. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied zwischen Studierenden aus anderen Ländern und Flüchtlingen, deren einziges Ziel ein menschenwürdiges Leben ist! Zu argumentieren, dass man „nur“ mehr afrikanische Studenten (die alle wieder zurück nach Afrika gehen sollen) zulassen müsste, um endlich einen Grund zu haben, denjenigen Flüchtlingen, die es an Europas Strände schaffen, keine „Duldung“ mehr entgegenbringen zu müssen, das ist schlichtweg absurd. MARTIN JAHN, München

Erich-Kästner-Denunzianten

■ betr.: „Ein aufgerautes Bild“, taz vom 21. 10. 13

In Ihrem Artikel über Erich Kästner haben Sie geschrieben: „Regimekritische Gedichte hatten ihn schon früh in Misskredit gebracht …“ Noch im Jahr 1977 hat sich eine Lehrerin in Baden-Württemberg vor dem Oberschulamt dafür rechtfertigen müssen, dass sie im Deutschunterricht das Gedicht „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühen?“ von Erich Kästner behandelt hat. Eltern von Schülern hatten sie wegen „politischer Denunziation“ denunziert.

MARLIES BEITZ, Stuttgart

400 Euro für 30-Stunden-Woche

■ betr.: „Experiment mit offenem Ausgang“, taz vom 23. 10. 13

Die Entscheidung für einen Mindestlohn ist richtig und wird – sieht man die Wahlprogramme und den Ausgang der Wahl – von der Wählermehrheit getragen. Es entsteht dadurch ein notwendiger Druck auf die jammernden ArbeitgeberInnen, mehr abzugeben. Allerdings trügt die Hoffnung, allein dadurch im Bereich „prekärer“ Arbeitsverhältnisse umfassende Änderungen zu schaffen. Schon unter heutigen Bedingungen wird in der Gastronomie, die in dem Artikel speziell angesprochen wird, nach meinen Kenntnissen als Anwalt im Ausländerrechtsbereich massenweise mit Verträgen gearbeitet, die nur auf dem Papier stehen. Ein 400-Euro-Job, der die legale Fassade schafft, beinhaltet etwa in Wirklichkeit eine 30-Stunden-Woche oder mehr. Ein Zuschlag für die Mehrarbeit wird unter dem Tisch rübergereicht. UDO GRÖNHEIT, Berlin

Borniertheit der Märchengegner

■ betr.: „Sind Märchen von gestern?“, taz vom 19./20. 10. 13

Grauenhaft, dieses „Nützlichkeitsdenken“ der im 18. Jahrhundert der Aufklärung stecken gebliebenen MärchengegnerInnen. Märchen sind eben nicht dazu da, „Lehren“ zu ziehen oder „Vorbilder“ zu liefern. Sie thematisieren Ängste, Nöte und, ja, auch grausame Gedanken und Fantasien, die Kinder empfinden können (Bettelheim und Freud liefern da durchaus bemerkenswerte Ansätze, das Unbewusste, die dunklen Seiten in uns, gibt es tatsächlich) helfen bei ihrer Überwindung, wenn das Böse verbrannt, verzaubert, aus der Welt geschaffen wird und alles gut ausgeht, wie im Märchen eben. Sie helfen bei der Bewältigung der „magischen Jahre“ der Kindheit, in denen Puppe und Teddybär imaginierte Lebendigkeit besitzen, und können zum Teil soziale Realitäten ins Bewusstsein rufen.

Märchen mit Zauberern, Hexen, Verwandlungen und glücklichem Ende wurden und werden erzählt, inklusive Veränderungen, die sich in mündlichen Überlieferungen ergeben können. Selbstverständlich muss man mit Kindern über Märchen, ihren (Ir-)Realitätsgehalt, ihre Grausamkeit reden, auch bei Pippi Langstrumpf, bei Jim Knopf, Bibi Blocksberg oder Pumuckel. Ganz abgesehen davon, dass tatsächlich unseren Kindern Bildung und Kulturgut fehlen, wenn sie mit einem Satz „Etwas Besseres als den Tod findest du überall“, dem passenden Zitat zu der Abbildung in der taz und einem guten Kommentar zu Lampedusa, überhaupt nichts mehr anfangen können, wenn sie später die Verarbeitung vieler Märchenmotive in Literatur und Kunst der Interpretation einer Bildungselite überlassen müssen, deren Eltern nicht die Borniertheit der Märchengegner zum Erziehungsprinzip gemacht haben. KATRIN SWOBODA, Frankfurt am Main

Märchen sind von heute!

■ betr.: „Sind Märchen von gestern?“, taz vom 19./20. 10. 13

Obwohl es schier unmöglich ist, das laut zu sagen: Ich bin einer Meinung mit Annette Schavan. Märchen sind von heute! Und sie sind ein erhaltenswertes Kulturgut, egal aus welcher Kultur sie stammen. Damit meine ich nicht die Walt-Disney-Verfilmungen, in denen zum Beispiel der Frosch geküsst anstatt an die Wand geknallt wird! Hier ist eine Botschaft aus dem „Froschkönig“: Sich den Anweisungen zu widersetzen, führt zum Glück. Mit ein bisschen Übung findet man von alleine diese Hinweise zwischen den Zeilen. Es muss nicht die tiefenpsychologische Analyse eines Bruno Bettelheim sein. Die Märchen von Astrid Lindgren oder Linde Keyserlingk und auch die Seelenmärchen von H. Dickerhoff kann man immer wieder selbst lesen oder vorlesen. Am besten aber sind sie, wenn sie erzählt werden.

MARIANNE LINK, Heidelberg