Im Schatten der Großen Koalition

OPPOSITION Norbert Lammert will die Rechte von Linken und Grünen wahren

BERLIN taz | Eigentlich sind sich fast alle einig: Die äußerst kleine Opposition von Grünen und Linkspartei braucht verbindliche Rechte, um sich gegen die mögliche Große Koalition zu behaupten. Grüne und Linkspartei hätten, weil kleiner als 25 Prozent der Bundestages, kein Recht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen oder eine Sondersitzung einzuberufen. Auch CDU-Mann Thomas Strobl warnte schon vor einer Großen Koalition als „Elefant im Parlament“.

Das Ziel ist also klar. Kniffelig ist die Frage, wie und welche Kontrollrechte der Opposition gewahrt werden sollen. Linksparteifraktionschef Gregor Gysi hält eine Grundgesetzänderung für nötig. Die 25-Prozent-Quote soll in der Verfassung gestrichen werden, künftig soll es reichen, wenn die Opposition, egal wie groß sie ist, dies will. Die Grünen wollen Ähnliches, aber dafür nur die Geschäftsordnung des Parlamentes ändern.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist ein unabhängiger Kopf, der die Rechtsansprüche der Opposition schützen will. Allerdings hat er andere Ideen als Gysi: Von einer Verfassungsänderung hält er nichts. „Man kann den Eindruck haben, dass die Änderung des Grundgesetzes Sinn der Übung ist, nicht die Sicherstellung der Minderheitenrechte“, so Lammert am Mittwoch in Berlin. Der CDU-Mann plädiert für informelle Regeln im Bundestag selbst. Das Parlament könne beschließen, Linkspartei und Grünen mehr Rechte einzuräumen. Man brauche „eine praktikable Lösung, keinen Grundsatzstreit“.

Skeptisch ist der CDU-Mann auch beim Klagerecht der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht und auf EU-Ebene. Auch dort gilt die 25-Prozent-Quote. Gysi will diese Rechte auch für die neue Mini-Opposition – Lammert hält das nicht für zwingend. Sein zentrales Argument: Man solle mit Grundgesetzänderungen vorsichtig sein. Der CDU-Mann selbst hatte 2005 bei der ersten Merkel-Regierung dafür plädiert, die Quote für die Opposition zu senken: von einem Drittel auf ein Viertel – per Grundgesetzänderung.

Ein praktisches Problem wird zudem die geringe Redezeit der Opposition von 12 Minuten pro Stunde, bei 48 Minuten für Union und SPD. Das ist nicht per formalem Recht geregelt, sondern per innerfraktioneller Absprache. Doch bei so ungleicher Verteilung ist eine faire Debatte schwer möglich. Auch da schwebt Lammert eine eigenwillige Lösung vor. Das Rederecht erteile ja der Bundestagspräsident. Damit hat Lammert Erfahrung: In der Euro-Debatte hatte er einfach mal einem CDU-Abweichler das Wort erteilt – gegen den Usus, dass die Fraktionen ihre Redner bestimmen. Das, so die versteckte Ankündigung, kann es zukünftig öfters geben.

STEFAN REINECKE