Design des wahren Lebens

Wer kann wie und warum definieren, was Wahrheit ist? Im Rahmen der 29. Duisburger Akzente spürt die Ausstellung „Designing Truth“ im Lehmbruck Museum der Konstruktion von Wirklichkeit nach

VON KATJA BEHRENS

Ambitionierter kann ein Konzept kaum sein: In der Ausstellung „Designing Truth“ und den temporären Arbeiten und Aktionen im öffentlichen Stadtraum „PubliCity-Constructing the Truth“ erforschen Künstler und Künstlerkollektive die allgegenwärtigen Konstruktionen von Wirklichkeit. Sie folgen damit einem Aufruf, endlich wieder nach den ersten, den fundamentalen Dingen zu fragen.

Grayson Perry, Mark Lewis, Jimmie Durham, Hinrich Sachs und andere befassen sich in ihren Arbeiten mit den zentralen Themen der menschlichen Sinnsuche, nach den offenen oder verborgenen Bildern einer Realität, der eigentlich sowieso schon kaum jemand mehr traut. Das Entstehen von Öffentlichkeit, von öffentlicher Meinung und deren Wahrheit ist eine Frage, der besonders die Projekte im Stadtraum nachgehen. Die Ausstellung „Designing Truth“ im Wilhelm Lehmbruck Museum versammelt mit 12 Künstlern einige Versuche, im Rekurs auf tradierte Formen und überlieferte Bildsprachen, auf symbolische Systeme unserer Gesellschaft, dem immer noch drängenden Thema auf die Spur zu kommen: Wer besitzt die Definitionsmacht darüber, was als Wahrheit wahrgenommen und akzeptiert wird?

Der Turner Prize-Träger (2003) Grayson Perry etwa, der mit seinen keineswegs nur hübschen, nämlich sehr pikanten Vasenmalereien bekannt wurde, benutzt in seinen Arbeiten „Print for a Politician“ (2005) und „Map of an Englishman“ (2004) die Technik der Radierung um vermeintlich harmlose historische Landkarten herzustellen, die sich bei näherer Betrachtung indes als ironisch und ideologisch aufgeladene Werke entpuppen. „In vielen meiner Arbeiten nutze ich Mittel der Guerilla-Taktik oder der Tarnung“, erklärt der Künstler. Die vermessene, kartografierte Welt der Landkarten Perrys spiegelt also allenfalls die Wahrheit einer eigenen ordnenden Wirklichkeitsdeutung – schwarz-weiß oder rosarot.

Eingebettet ist die Schau in das weiter gefasste Konzept der 29. Duisburger Akzente, die unter dem Titel „Woran glauben?“ „die Rückbesinnung auf Werte und Verhaltensnormen“ untersuchen möchte. Ein großes Unternehmen, das letztlich an der konzeptuellen Hybris scheitern muss. Auch bei „Designing Truth“ scheitern viele Künstler am hohen Anspruch: Neben interessanten Befragungen der Codes unserer Wahrnehmung gibt es viel belanglose formalästhetische Prosa, die sich auf Altbewährtes beruft, eine private Ästhetik feiert und bloß der eigenen Eitelkeit Ausdruck gibt.

Einige Arbeiten in der Ausstellung überzeugen allerdings durchaus. Jimmie Durham etwa hat einen wunderbar ironischen und autobiografisch gefärbten Film gedreht, „Pursuit of Happiness“ (2002). Er erzählt die Geschichte eines jungen amerikanischen Indianers, der auf den Highways Zivilisationsmüll sammelt, daraus künstlerische Assemblagen fertigt und sie erfolgreich verkauft. Am Ende, nachdem er erst noch seinen Wohnwagen verbrannt hat, sitzt er mit Baskenmütze in einem Café am Montmartre. Das Klischee, das der Künstler hier durchbuchstabiert, scheint zuletzt tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Die Arbeit lotet die Schnittstelle zwischen Fiktion und Dokumentation aus, sie verwischt die Unterschiede von konstruierter, imaginierter und erlebter Realität. So findet sie zu einer Struktur, die einiges mit dem tatsächlichen, dem „wahren“ Leben zu tun hat.

Bis 25. Juni 2006Katalog 19,80 Eurowww.duisburger-akzente.de