Eine koreanische Tragödie der Vergeltung

Mit „Sympathy for Mr. Vengeance“ von Park Chan-wook beginnt eine Reihe mit südkoreanischen Filmen.

Zur Zeit ist die südkoreanische Filmindustrie so fruchtbar und risikofreudig wie keine andere. Mit einem heimischen Marktanteil von über 50 Prozent ist sie kommerziell sehr erfolgreich, und auf den internationalen Festivals werden die Hauptpreise immer öfter an koreanische Regisseure verliehen. Im Fall von Kim Ki-Duk, der 2004 den silbernen Bären der Berlinale für „Samaria“ erhielt, führte dies schon zum Streit unter Kritikern, weil Kenner des koreanischen Kinos dem Regisseur vorwarfen, er habe seine letzten Filme für die Festivals und ein westliches Arthousepublikum maßgeschneidert, und wäre in seinem Heimatland eher unbedeutend. In Deutschland hat er einen festen Verleih, der seine Filme wie „Bin Jip“, „The Isle“ und „Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling“ in die Programmkinos bringt. Weniger Erfolg hatte dagegen ein anderer Verleih, der versuchte, den in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichneten „Old Boy“ von Park Chan-wook mit vielen Startkopien in die Multiplexe zu pushen. Auch wenn Hollywood froh wäre, wenn es solche kreativen und radikalen Genrefilme selber hinkriegen würde, geht das große Publikum lieber ein paar Jahre später in die verwässerten amerikanischen Remakes, weil es sich nicht daran gewöhnen will, statt Tom Cruise und John Travolta unbekannte Asiaten auf der Leinwand zu sehen. Nach dem Flop von „Old Boy“ ließen die hiesigen Verleiher lieber die Finger von den Filmen, die in Korea riesige Zuschauerzahlen hatten. So bleibt es nun dem kleinen Kino 46 vorbehalten, im Mai vier Filme aus Südkorea zu präsentieren. Die Filmreihe beginnt heute Abend mit einem einführenden Vortrag der in Deutschland lebenden koreanischen Journalistin Hwa-Young Jeen.

Park Chan-wook wurde in Europa durch seinen Polit-Thriller „Joint Security Area“ bekannt, der einen Konflikt unter nord- und südkoreanischen Soldaten an der schwer bewachten Grenze schilderte. Zwischen diesem und „Old Boy“ drehte er 2002 „Sympathy for Mr. Vengeance“, der damals auf der Berlinale wegen seiner extremen Gewaltdarstellung umstritten war. Nach dem stilistisch ähnlichen „Old Boy“ kann man ihn jetzt als den Film einordnen, in dem Chan-wook seinen Ton fand, und inzwischen hat er auch schon mit „Sympathy for Mrs. Vengeance“ eine Art Fortsetzung gedreht. Direkt an die Geschichte des Vorgängers anschließen wird dieser aber kaum, denn am Schluss des Films lebt keiner der Protagonisten mehr.

Dies ist eine Tragödie der Vergeltung, in der gleich zwei Koreaner rot sehen, und man Sympathie für diese Herren Rächer entwickelt, weil sie als Unschuldige in die Tiefen der Hölle gestoßen werden und dort bizarre Gewaltakte verüben. Der taubstumme Ryu will nur das Geld für die Nierentransplantation seiner Schwester aufbringen, aber nachdem er von seinem Job gefeuert wird, wendet er sich an illegale Organhändler, die ihm nicht nur sein Gespartes abknöpfen, sondern ihm auch noch eine Niere aus dem Leib schneiden. Seine letzte Chance sieht er darin, zusammen mit einer Freundin die Tochter des Fabrikbesitzers Park zu entführen. Sie behandeln das kleine Mädchen gut, es fühlt sich sogar wohl bei ihnen, aber dann kommt es zu einem tragischen Unfall, und dannach sind Ryu und Park zum Schlimmsten fähig. Chan-wook erzählt in visuellen Teilchen, die wie einzelne Scherben zusammengeschüttet scheinen. Oft weiß man nicht, was genau geschieht, ständig wechselt die Perspektive, und so bleiben einem die Figuren fremd. Und doch hat der Film eine tiefe, verstörende Wirkung, die sich nur durch die Suggestivkraft von Chan-wooks Bildern erklären lässt. W. Hippen