herr tietz macht einen weiten einwurf (114)
: Ein dreifaches „Hossa!“ auf Spanien

Zu welcher Mannschaft will ich halten? Ist das Verbrechen von Gijon gesühnt? Und: Warum nur war Willi Lippens 1974 nicht für die Niederlande am Ball?

Noch 37 Tage! Allmählich wird’s Zeit, sich festzulegen. Zu welcher Mannschaft will ich halten? Wer soll Fußballweltmeister werden? Für die Zwangsnationalen und streng Germanogläubigen in der deutschen Fußballfangemeinde ist das natürlich gar keine Frage. Da gibt es nur wieder diese eine Option: Wir kommen egalwie ins Endspiel, werden Weltmeister und sonst gar nichts. Dieses Mal wird das Diktum vom unbedingten deutschen Erfolg sogar mit dem Heil der ganzen Nation in Verbindung gebracht. Ohne den Titel drohe Deutschland der endgültige Ruin. So wollen es einem jedenfalls die verbohrten Apologeten und unbelehrbaren Beschwörer von Aufschwung und Wachstum einhämmern. „Der psychologische Effekt,“ so dengelt es seit Monaten ebenso mantragleich wie verzweifelt aus dieser Ecke. Nur ein WM-Sieg könne noch jenen Mentalitätswechsel bewirken, den der marode Standort angeblich so dringend benötigt.

Welche psychologischen Defekte aus einem vorzeitigen Aus resultieren könnten, möchte man sich da erst gar nicht ausmalen. Die telegenen Folgen dagegen um so lieber. Die sind wenigstens angenehm. Je früher die deutsche Mannschaft nämlich ausscheidet, desto erträglicher dürfte die Berichterstattung aus den angeschlossenen TV-Anstalten ausfallen.

Die ständigen Schalten zu irgendeinem vor dem Mannschaftsquartier herumlungernden Waldi oder Töppi, die öden Live-Übertragungen von der täglichen Pressekonferenz des Trainerstabs, die ellenlangen Interviews mit den dabei, außer ihren Kaugummis, nichts Wesentliches begnatschenden Spielern. Von dem ausgewalzten deutschen TV-Expertentum ganz zu schweigen. Dazu dieser ganze boulevardeske Tand „rund um die Mannschaft“: der launige Hintergrundbericht über die Spielerfrauen, die investigative Reportage aus der Quartiersküche, die topaktuelle Programmunterbrechung, weil „die medizinische Abteilung“ bei einem Spieler einen eingeklemmten Furz diagnostiziert hat oder so was.

Scheiterte die DFB-Auswahl bereits in der Vorrunde, wären diese sportjournalistischen Heimsuchungen allenfalls eine Woche lang durchzustehen. So leid es einem auch um die junge Mannschaft tun mag. Aber deren Vereinnahmung durch so offenkundig scharlatane Effekthascher in Politik, Wirtschaft und TV und der damit bereits einhergehende und noch zu erwartende Belästigungsgrad sind ein leider sehr triftiger Grund, ihr ein möglichst frühes Ausscheiden an den Hals zu wünschen. Die einstmals und zu Recht so lange gehegten Animositäten gegen den deutschen Fußball spielen da jedenfalls keine Rolle mehr.

Das Verbrechen von Gijon kann allmählich als gesühnt betrachtet werden, also jenes beispiellose, um nicht zu sagen ballspiellose Geschiebe während des WM-Turniers 1982 in Spanien, als sich die Mannschaften Deutschlands und Österreichs zum Nachteil der aussichtsreichen Algerier absprachen und so unter Missachtung jeglichen sportlichen Anstands gegenseitig ins Achtelfinale hievten. Auch wenn hier und da noch die Meinung vertreten wird, dass die Österreicher für dieses schreiende Unrecht zu Recht in die Drittklassigkeit abgestiegen sind und die Deutschen, wenn sie schon nicht freiwillig dorthin absteigen wollen, wenigstens dazu verdonnert gehörten, nur noch mit mindestens fünf Österreichern im Team aufzulaufen. Dann allerdings bräuchte man sich um ein Weiterkommen Deutschlands nach den Gruppenspielen keine allzu großen Sorgen mehr zu machen.

Wem schenkt man nun sein Fußballherz, wenn nicht den einheimischen Fußtrupplern? Ich werde wieder für die Spanier sein und drei Mal laut „Hossa!“ rufen, so sie dieses Mal endlich den Titel holen. Es ist schlichtweg ein Skandal, dass diese große Fußballnation bislang nie ins Endspiel kam. Für die Holländer könnte ich mich, schon wegen ihres gebenedeiten Spielstils, durchaus auch erwärmen. Allerdings darf ihnen nicht verziehen werden, dass sie, die schon 1974 einem so begnadeten Knipser wie Willi Lippens die WM-Teilnahme versagten, mit der Nichtnominierung des Grundsympathen Roy Makaay der Weltzuschauerschaft erneut einen ihrer Besten vorenthalten.