KOMMUNALWAHLEN IN ENGLAND: LABOUR STEHT EIN DEBAKEL INS HAUS
: Bestraft Blair – auch aus falschen Gründen!

Englische Kommunalwahlen sind normalerweise eine langweilige Angelegenheit. Jedes Jahr werden ein paar hundert Gemeinderäte ausgetauscht, und die Arbeit geht weiter. Diesmal ist es anders: Die heutigen Kommunalwahlen entscheiden über Tony Blairs Zukunft.

Der Premierminister wünscht, dass die Wähler sich die Errungenschaften der Labour-Regierung ins Gedächtnis rufen, bevor sie ihre Stimme abgeben. Ein schlechter Rat, den bedauerlicherweise die Labour-Gemeinderäte, die in den vergangenen vier Jahren oft gute Arbeit geleistet haben, ausbaden müssen. Blair hat seit seinem Amtsantritt als Labour-Chef vor zwölf Jahren die Macht zentralisiert wie keiner seiner Vorgänger – mit fatalen Konsequenzen für die Kommunalpolitik.

So hat Blair die öffentlichen Dienste an sich gerissen, worauf deren Qualität dramatisch sank. In Schottland und Wales, wo weitaus mehr Entscheidungen auf Lokalebene getroffen wer- den als in England, funktionieren diese Berei- che weitaus besser. Auch die Londoner Stauge- bühr, die gegen den Willen der Regierung eingeführt wurde, ist recht erfolgreich.

Doch Blair wird heute nicht wegen seiner Inkompetenz oder gar wegen seiner Lügen im Vorfeld des Irakkrieges bestraft, sondern wegen der Skandälchen, die nicht nur von der Boule- vard-, sondern auch von der seriösen Presse genüsslich aufgelistet werden, aber im Grunde nicht der Rede wert sind: ein stellvertretender Premierminister, der mit seiner Sekretärin im Bett war; eine Kulturministerin, deren Exgatte ein Gauner ist; ein Innenminister, der straffällig gewordene Ausländer nicht schnell genug deportiert.

Der wirkliche Skandal ist jedoch das Verhalten des Premierministers. Blair, der sich sonst immer in die Belange seiner Kabinettskollegen einmischt, stellte sich nicht vor seinen Innenminister. Das wäre unpopulär gewesen – stattdessen behauptet er, das Ressort müsse reformiert und aufgesplittet werden, denn sein Versagen sei „systembedingt“. Dabei ist Blair selbst das System. Wenn Blair jetzt für ein paar läppische Skandale bestraft wird, sind das zwar die falschen Gründe. Aber verdient hat er es allemal. RALF SOTSCHECK