Geiseln als Ware

AUS KAIRO KARIM El-GAWHARY

Die beiden deutschen Ingenieure René Bräunlich und Thomas Nitzschke haben Glück gehabt. Die Details über die Freilassung der 99 Tage im Irak verschleppten Deutschen werden vom Auswärtigen Amt zurückgehalten und dürften in den nächsten Tagen Thema weitreichender Spekulationen werden.

Worüber nicht spekuliert werden muss, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeiter des sächsischen Unternehmens Cryotec nicht die letzten Entführungsopfer im Irak sein dürften. Die lokalen Sicherheitskräfte sind schwach, schlecht ausgebildet und unzulänglich ausgerüstet. Kriminelle Gangs arbeiten neben einer unübersichtlichen Reihe von aufständischen politischen Gruppen mit einem geringen Strafrisiko.

Die ausländischen Truppen sind zu sehr mit ihrer eigenen Sicherheit beschäftigt. Dazu kommt die generelle politische Unsicherheit. Zwar hat der Irak seit zwei Wochen einen designierten Ministerpräsidenten, aber immer noch keine Regierung. Das politische Vakuum schafft ein Sicherheitsvakuum, in dem die Geiselindustrie florieren kann.

Cryotec war eines von vielen Unternehmen, die im Irak Geschäfte machen. Der simple Rat eines im Irak arbeitenden Sicherheitsexperten: „Macht, dass ihr fortkommt“. Die ausländischen Mitarbeiter bringen nicht nur sich selbst, sondern auch alle um sie herum in Gefahr. Sollte eine Firma dennoch darauf bestehen, im Irak zu arbeiten, sollten die ausländischen, aber auch die irakischen Mitarbeiter auf ein Minimum reduziert werden, so der Sicherheitsexperte, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Geiseln sind im Irak wie eine Ware, die entweder gleich zu Geld gemacht oder zurückgehalten werden kann, in der Hoffnung, dass dadurch der Preis steigt. Es existiert eine regelrechte Geiselbörse, in der die Opfer auch oft zwischen den Gruppen weiterverkauft werden, etwa von einer kriminellen zu einer politischen Gruppe. Für die Entführung selbst existieren spezialisierte Banden.

Das Tragen des Passes eines Landes, das gegen die US-Invasion im Irak aufgetreten ist, schützt nicht vor Verschleppungen. Die Rechnung ist einfach: Es gibt immer weniger Ausländer im Irak und damit wird jeder verbliebene wertvoller. Mit steigendem Marktwert hat der politische Hintergrund des Opfers nur noch wenig Bedeutung.

Trotzdem bleiben Iraker immer noch die Hauptopfer von Entführungen. Für jeden verschleppten Ausländer werden im Schnitt mehr als 20 Iraker entführt, oft die Kinder von Ärzten, Anwälten und Geschäftsleuten, um Lösegeld zu erpressen. Die wenigsten Angehörigen schalten die Polizei ein.

Das Geschäft mit den Geiseln im Irak ist Dank des Sicherheitschaos relativ risikofrei. Wer 50.000 Dollar investieren kann, der kaufe ein paar Fahrzeuge, miete ein Haus und eine handvoll Gangster. An denen herrscht kaum Mangel, seit Saddam Hussein kurz vor seinem Sturz die Gefängnisse hat öffnen lassen. In ein paar Monaten können aus 50.000 Dollar 5 Millionen geworden sein. Das Geschäft mit Geiseln ist lukrativer als das mit Drogen.

Verhandelt wird bei Entführungen meist mit Hilfe von Mittelsmännern. Für die Regierung oder ein Unternehmen gibt es eine Liste von Gruppen und Vermittlern, an die man sich wenden kann. Wichtig ist es zunächst, den genauen Tathergang der Entführung zu rekonstruieren und so Rückschlüsse auf die Entführer zu ziehen, deren Professionalität, aber auch deren konfessionellen Hintergrund, um dann die passenden Vermittler einzuschalten.

Der schnelle Euro, den Unternehmen im Irak verdienen können, hat also seinen Preis. Wer wirklich seine Mitarbeiter schützen möchte, der muss bei Projekten im Irak bis zu einem Viertel des Projekthaushaltes für Sicherheitsmaßnahmen ausgeben.