Salam Alaykum im Zwischenreich

„Die Spiritualität ist durch die Geräuschkulisse gestört“, klagt Haluk Yildiz von der Islamischen Hochschulvereinigung Bonn

AUS BONN CLAUDIA KÖNSGEN

Bepackt mit langen Teppichen marschieren die Studenten durch das Unihauptgebäude. Auf dem abgeschiedenen Flur vor Hörsaal I machen sie halt und rollen die rot-weißen Läufer auf dem Steinboden aus. Freitags Nachmittags um 14 Uhr verwandelt sich der lichtdurchflutete Flur der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn für 45 Minuten fast unbemerkt zur „muslimischen Gebetsstätte“, wie von einem an die Wand gehefteten Hinweisblatt abzulesen ist. Schon liegen – wie in einer Moschee – Stiefel, Turn- und Lederschuhe verstreut um die Gebetsstätte, während es sich etwa zwanzig gläubige StudentInnen in Reih und Glied im Schneidersitz oder auf den Knien gemütlich machen. Die Frauen ziehen ein Kopftuch über – wenn sie nicht ohnehin eins tragen – und setzen sich von den Männern getrennt in die letzten Reihe.

In muslimischen Gebetshäusern sei das die Regel, erklärt eine deutsche Muslimin. „Denn manche Gebetshaltungen wirken etwas anzüglich und die Männer sollen sich auf das Gebet konzentrieren.“ Das wöchentliche Gemeinschaftsgebet, das „Salatu-l Djuma“, hat für die MuslimInnen einen ähnlichen Stellenwert wie der Sonntagsgottesdienst im Christentum. Daran teilnehmen können alle in Bonn eingeschriebenen StudentInnen islamischen Glaubens. Das sind nach Schätzungen der Islamischen Hochschulvereinigung Bonn (IHV) mehr als 1.300. Die IHV versteht sich als Forum für die Gemeinschaft der muslimischen KommilitonInnen, so der neue Vorstandsvorsitzende der IHV, Haluk Yildiz. Die Mitglieder kümmerten sich nicht nur um die religiösen, sondern auch um die sozialen Interessen ihrer Glaubensgenossen. Daher sei es für die Hochschulgruppe wichtig, sich für eine eigene Gebetsfläche einzusetzen, sagt Yildiz.

„Vor zwei Jahren etwa ist die IHV mit der Bitte um einen ruhigen Raum zum Beten an mich herangetreten“, erinnert sich Klaus Hartenfels, Leiter für zentrale Serviceaufgaben im Hauptgebäude. Aber mehr als eine „Aushilfslösung“ habe von Seiten der Uni nicht zur Verfügung gestellt werden können, weil freie Räume laut Unihauptgebäudeplan nicht vorhanden seien. Abgesehen davon stehe nirgendwo geschrieben, dass Hochschulgruppen einen Rechtsanspruch auf eigene Räumlichkeiten hätten, sagt Unipressesprecher Andreas Archut. Daher sei es ohnehin dem Entgegenkommen des Universitätskanzlers, Reinhardt Lutz, zu verdanken, dass das Freitagsgebet überhaupt im Hauptgebäude stattfinden darf.

Für die muslimischen Gläubigen ist diese Lösung jedoch alles andere als zufriedenstellend. „Die Spiritualität ist durch die Geräuschkulisse ein wenig gestört“, klagt Yildiz. Tatsächlich lädt die Atmosphäre auf dem Gebets-Flur nicht gerade zur Andacht ein. Stimmen schallen durch die leeren Gänge des historischen Gemäuers, Schuhe klackern und Türen schlagen zu. Kaum gefiltert dringt vom Erdgeschoss Lärm von Passanten bis in den ersten Stock, weil die Uni gerne als kürzeste Verbindung zwischen Fußgängerzone und Hofgarten benutzt wird. Zudem befindet sich unter dem Gebäude eine Tiefgarage.

Noch aber hätten sie die Hoffnung auf einen eigenen Raum nicht aufgegeben, erklärt Yildiz. Im Hauptgebäude wird da allerdings nichts mehr draus: Der Pressesprecher schließt stellvertretend für die Uni „weitere Zugeständnisse“ aus. Weder werde die Suche nach einem Raum im ehemaligen kurfürstlichen Schloss wiederaufgenommen, noch sei man bereit eine „Ausweitung von Gebetszeiten und -orten“ zu dulden. Um den Studenten wenigstens die Mühe zu ersparen, jeden Freitag die schweren Teppiche zur Uni zu tragen, wurden unter einer Treppe abschließbare Stahlschränke aufgestellt, worin die Gebetsläufer feuersicher gelagert werden können.

Zum Beten den Blick nach Südosten gerichtet – Richtung Mekka, der Geburtsstadt von Mohammed – steht ein junger Mann aus der ersten Reihe auf und begrüßt die „Geschwister“ mit den Worten „Salam Alaykum“ – Friede sei mit euch. Ihm fällt die Rolle des Imam oder Vorbeters zu. Er trägt übersetzte Koranverse vor und erklärt. Etwa dies: „Meinungsverschiedenheiten dürfen die Liebe zu Gott zwar anspannen, sie aber nicht zerreißen“. Auch um ganz banale Dinge wird Allah angebetet – zum Beispiel den StudentInnen beim Bestehen ihrer Klausuren zu helfen. Zum allfälligen Dank schließt sich daran das rituelle Gebet „Salah“ an. Halblaut auf Arabisch betend verbeugen sich die StudentInnen mehrmals und erstaunlich synchron, bis sie mit der Stirn den Boden berühren. Dann folgen lautere Frage- und Antwortgesänge, die durch die anliegenden Gänge tönen.

Viel Aufmerksamkeit erzeugen die Gläubigen damit nicht. Die meisten KommilitonInnen gehen einfach an den Betenden vorbei, weil sie, wie ein Student findet, „niemanden stören“. Das bestätigt auch der IHV-Vorsitzende Yildiz. Nur selten habe er beobachtet, dass MitstudentInnen für einige Minuten stehen blieben. Es sei natürlich auch gar nicht Absicht der MuslimInnen sich zur Schau zu stellen, erklärt ein anderes IHV-Mitglied. Manchmal allerdings passiert genau das: Schließlich müssen gläubige MuslimInnen nicht nur einmal in der Woche zu Allah beten, wie die Uni das genehmigt, sondern fünf Mal täglich.

Und tatsächlich „nehmen sich manche das Recht heraus“ auch an anderen Tagen und Orten ihrer religiösen Pflicht auf dem eigenen mitgebrachten Teppich nachzugehen, erzählt Hartenfels. Und das werde von der Hausverwaltung überhaupt nicht gern gesehen. Zumal einige KommilitonInnen sich schon darüber beschwert hätten, dass in Hörsälen gebetet werde. In diesen Fällen sei er eingeschritten, so Hartenfels, habe die MuslimInnen angesprochen und auf den Ort für das Freitagsgebet verwiesen. Schließlich, so der Chef der Hausverwaltung, müsse man sich für ein vernünftiges Miteinander auch an Abmachungen halten.

In der Regel handele es sich bei den Wildbetern allerdings um Moslems, die nicht Mitglied in der IHV sind, also nichts von den Vereinbarungen zwischen Hausverwaltung und IHV wissen, erklärt Yasin Ley, stellvertretender Vorsitzender der IHV. Die IHVler liefen dagegen zwischen ihren Seminaren für das Gebet in die Moschee in die Altstadt, sagt er. „Aber dadurch geht natürlich viel Zeit verloren“, beschreibt Ley seinen hektischen Tagesablauf.

Ein wenig neidlisch blicken die muslimischen StudentInnen aus Bonn daher auf ihre KommilitonInnen von der Uni Duisburg-Essen. In Duisburg steht dem Islamischen Studierenden Verein (ISV) ein Gebetsraum offen, nicht nur zum gemeinschaftlichen Freitagsgebet, sondern auch „werktags bis 21 Uhr“, wie die Vereinhomepage verkündet. Und auf dem Essener Campus gebe es schon seit mehr als 20 Jahren ein Gebetszimmer für MuslimInnen, sagt Cemile Karakus, Vorstandsmitglied des Islamischen Studentenbundes (ISB). Damit das irgendwann vielleicht auch in Bonn klappt, geht die Suche nach einem Alternativraum weiter. Zusammen mit dem Studentenwerk Bonn soll demnächst überlegt werden, ob nicht in der nahe gelegenen Mensa ein passendes Zimmer zu finden sei, sagt Yildiz. Einzige Anforderung, die der Vorstandsvorsitzende an einen potentiellen Gebetsraum stellt: „Zentral muss er liegen“.