Nun kommt der Mindestlohn

LOHN ZUM LEBEN Als Preis für die Bildung der Großen Koalition mit der CDU verlangt die SPD den Mindestlohn. Werden dann Geschäfte ruiniert, Leute entlassen oder geht der Dienstleistungssektor gleich ganz unter? Reichen 8,50 Euro, ist das zu viel, zu wenig?

LESERINNENBRIEFE
Da putzt der Banker

■ betr.: „Die Hürde nach dem Ziel“, taz.de vom 23. 10. 13

Ich kann die Schwarzmaler zum Thema Mindestlohn langsam nicht mehr hören. Zumindest haben alle inzwischen erkannt, dass es hauptsächlich die Dienstleistungsbranchen betrifft, in der dann angeblich die Arbeitsplätze verschwinden. Vor diesem Hintergrund habe ich einmal versucht, das Szenario weiterzuspinnen: Mit Anbruch der Dunkelheit treten Banker und Unternehmer persönlich an, um ihre Anlagen zu bewachen. Am Morgen kommt der nächste Trupp zum Putzen. Zum Mittag gibt es nur noch mit viel Glück etwas vom Selbstbedienungstresen und am Wochenende stellt einer der Unternehmer seinen Privatjet zur Verfügung für einen Frisörbesuch in Rumänien. Auch privat wird wieder selbst geputzt oder schwarz? Jpgi, taz.de

Abwärtsspirale

■ betr.: „Die Hürde nach dem Ziel“, taz.de vom 23. 10. 13

Erst mal geht es um die grundsätzliche Entscheidung, einen einheitlichen Mindestlohn einzuführen. Danach geht es um die Details einer solchen Regelung. Beim britischen Beispiel muss man sicher den Kontext betrachten. Das Vereinigte Königreich ist seit 5 Jahren in einer Wirtschaftskrise, und das Lohnniveau ist insgesamt gefallen. Der Niedriglohnsektor hat in Deutschland ein inakzeptables Ausmaß angenommen, und um diese Abwärtsspirale zu stoppen, ist ein gesetzlicher Mindestlohn sinnvoll. Er sollte aber nur ein Baustein einer umfassenden Re-Regulierung des Arbeitsmarktes sein.

Insbesondere bei der Zeitarbeit und bei Werksverträgen muss man genau schauen, wie man den Missbrauch beenden kann. Es geht hier darum, Menschen zu helfen. Wer Vollzeit arbeitet, sollte nicht wie ein Bittsteller zum Amt gehen müssen, um seinen Lohn aufzustocken. Der Wert der Arbeit wird hier und an anderen Stellen beschädigt. In Bezug auf ein Grundeinkommen muss man aber konstatieren, dass es immer noch allgemeiner Konsens ist, dass Menschen ihren Lebensunterhalt durch Arbeit selbst bestreiten. Auch mit Blick auf das Arbeitslosengeld gilt der Grundsatz, wonach der, der arbeitet, mehr haben muss als jemand, der nicht arbeitet. Auch dieses Prinzip ist gesellschaftlich akzeptiert. Sören, taz.de

Willkürlicher Wert

■ betr.: „Entschlossen trotzig“, taz.de vom 24. 10. 13

Die Mindestlohndebatte ist seitens der SPD an Verlogenheit nicht zu überbieten. Erstens ist 8,50 Euro ein völlig willkürlicher Wert, ausgewürfelt in kleiner Runde und dann ins Wahlprogramm gedrückt. Zweitens ist das Argument, man müsse von seiner Arbeit leben können, zwar im ersten Augenblick richtig, dann aber gäbe es einen ganz einfachen Mindestlohn, und zwar das Existenzminimum. Das liegt aber nicht bei 8,50 Euro pro Stunde, sondern bei 6,x Euro. Das soziokulturelle Existenzminimum ist gerade so definiert, dass man damit leben und auch am Gesellschaftsleben grundlegend teilnehmen kann. Bei Vollzeitarbeit wohlgemerkt, denn die meisten stocken auf, weil sie nicht Vollzeit arbeiten. Warum daraus plötzlich ein 30-Prozent-Aufschlag wird, ist ganz einfach: Die SPD will so tun, als ob sie Geschenke verteilen kann, ohne dass dafür jemand büßen muss. Das alte sozialistische Denken.

Drittens nehmen diese Geschenke leider überhaupt keine Rücksicht auf die Realität: Die Produktivität eines Arbeitnehmers hat nichts mit sozialdemokratischen Wunschvorstellungen zu tun. Zum Beispiel wird ein ungelernter, kaum Deutsch sprechender Migrant sehr oft nicht die 2.000 Euro pro Monat erwirtschaften können, die ein 8,50-Euro-Mindestlohn für den Arbeitgeber inklusive aller weiteren Abgaben mindestens kostet. Folge: So einer wird gar nicht erst eingestellt. Denn kein Mensch auf dieser Welt will freiwillig Verluste machen. Viertens ist der ständige Vergleich zum Ausland eine einzige Propagandashow: Fast alle Länder ohne Mindestlohn haben in Europa eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit und niedrige Jugendarbeitslosigkeit, alle Länder mit Mindestlohn haben Ausnahmeregelungen für Branchen, Alter oder bei bestimmter Ausbildungshistorie. Hamburger, taz.de

Schöne CDU-Welt

■ betr.: „Entschlossen trotzig“, taz.de vom 24. 10. 13

Schöne CDU-Welt, da werden 8,50 Euro als der Beginn der Planwirtschaft dargestellt – und das geht ja natürlich gar nicht, dass Arbeiter Rechte bekommen oder ein Einkommen, von dem man leben kann, dann wären wir ja im Kommunismus. Man sieht doch jetzt schon, was passieren wird, die SPD kriegt ihre 08/15 äh 8,50 Euro und die Industrie bekommt Hintertürchen von den Genossen der Bosse und Mutti. Und davon, die ungerechten EEG-Ausnahmen zu bekämpfen, redet keiner, weil wir ja schon 8,50 Euro bekommen haben und dafür dankbar sein sollten. derSchreiber, taz.de

Das darf nicht sein

■ betr.: „Experiment mit offenem Ausgang“, taz.de vom 22. 10. 13

Die angelernten Kräfte in der Küche und im Reinigungsbereich bekommen laut Tarif 7,30 Euro, rechnet Dirk Ellinger, Hauptgeschäftsführer eines Hotelverbands, vor. Gelernte Kellner kriegen 8,50 Euro. „Wenn man die unterste Stufe anhebt, müsste man auch den Lohn der Kellner etwas steigern, um einen Unterschied beizubehalten.“ Das wäre ja auch ein Skandal, wenn Müllmänner und Straßenkehrer plötzlich genauso viel verdienen wie ihre studierten Chefs im Sessel! Wo kommen wir denn hin als Gesellschaft, wenn wir die unbedingt notwendigen Basisarbeitsleistungen genauso gut bezahlen würden wie die Vorgesetzten? Wo kämen wir hin in einer Gesellschaft ohne steile Hierarchien, wo man nach oben leckt und nach unten tritt? So ein Mindestlohn würde ja tatsächlich die künstliche Spaltung der Arbeiter in kleine Grüppchen aufweichen – das darf natürlich auf keinen Fall sein. Flo, taz.de

Faire Vergütung

■ betr.: „Experiment mit offenem Ausgang“, taz.de vom 22. 10. 13

Ich bin definitiv für einen Mindestlohn und eine angemessene Bezahlung und zahle auch meinen Angestellten mehr als den ortsüblichen Stundenlohn und die diskutierten 8,50 Euro. Nur sieht es so aus, dass ich als Physio von den gesetzlichen Kassen abhängig bin und für zwei Behandlungen in der Stunde insgesamt nur 30 Euro bekomme. Rechnen Sie nach, was davon übrig bleibt. Einzige Lösung wäre es, drei Behandlungen pro Stunde und Therapeut anzubieten, was aber den Behandlungserfolg gefährdet. Ich kann die Kollegen verstehen, die ihren Mitarbeiten weniger bezahlen. Wo bleibt da die faire Vergütung? Und da kann man auch nicht davon sprechen, dass man als Unternehmer versagt hat. Physio, taz.de

Roosevelt hat recht

■ betr.: „Experiment mit offenem Ausgang“, taz.de vom 22. 10. 13

Zum Thema Mindestlohn hat US-Präsident Franklin D. Roosevelt alles gesagt, was gesagt werden muss: „Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollen in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben.“ WOLFGANG GREBENHOF, taz.de