Gemeinsam dafür und dagegen

BUNDESTAG So eine kleine Opposition gab es selten. Umso wichtiger ist es für die Linkspartei und für die Grünen, ihre Rolle souverän auszufüllen

Ich möchte, dass 2017 auch eine rot-grün-rote Koalition möglich istTONI HOFREITER, GRÜNEN-FRAKTIONSCHEF

VON STEFAN REINECKE

Nur ein Fünftel der Bundestagsabgeordneten gehört den Grünen und der Linkspartei an. So klein war die Opposition zuletzt 1969. Umso wichtiger ist, dass die beiden Fraktionen ihre Rolle souverän spielen. Kann diese Opposition der übermächtigen Großen Koalition wirksam Paroli bieten? Wie verträgt sich die Oppositionsrolle mit dem Versuch, die alten Lagergrenzen zu durchbrechen? Denn seit dem 22. September ist klar: Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb hat als politisches Ordnungssystem ausgedient.

Die Linksfraktion ist erstmals Oppositionsführer, nach Angela Merkel wird im Bundestag ein Linksparteipolitiker reden – vor allem Gregor Gysi. Ein bisschen unheimlich ist der Fraktion ihre neue Rolle noch. Gysi versprach während der Fraktionsklausur in Bersteland, dass man kein so wirres Bild abgeben werde wie 2009. Man wolle professioneller wirken, schneller reagieren: „Wir müssen in unserer internen Zusammenarbeit sicher werden.“ Keine einfache Aufgabe. Denn die Ost-West-Spaltung gibt es noch immer, auch wenn beide Seiten den Waffenstillstand einhalten. Als Indiz der neuen Eintracht gilt, dass die Flügelspitzen Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht miteinander reden.

Das Mehr an medialer Aufmerksamkeit birgt für die Linkspartei Gefahren. Manche fürchten, dass es nach hinten losgehen kann, wenn Hinterbänkler zur besten Sendezeit schräge Thesen holprig vertreten.

Jan Korte, der zum Reformflügel zählt und Vizefraktionschef ist, sieht eine komplizierte Aufgabe auf die Fraktion zukommen: „Wir brauchen eine Doppelstrategie. Harte Opposition und substanzielle Gesprächsfäden zur SPD knüpfen.“ Wie schwer das der Linkspartei fällt, zeigt der Rückblick. 2009 kämpften viele in der Fraktion unverdrossen weiter gegen die verräterische SPD, obwohl die in der Opposition war.

Um Klaus Ernst, den Linkspartei-Exchef, war es still geworden. Nun ist er wieder in den Fraktionsvorstand aufgerückt. „In der SPD“, so der West-Linke, „sind immer noch die Architekten der Agenda 2010 tonangebend.“ Und, so der Gewerkschafter kampfeslustig: „Falls die SPD im Osten einen niedrigeren Mindestlohn einführt, kann ich nur sagen: Viel Spaß.“

Diese Tonlage ist bekannt – und zeigt, wie schwierig der Balanceakt wird, den manche Reformer mit Blick auf 2017 versuchen wollen. Denn die SPD zum Übel aller Welt zu erklären und mit ihr regieren zu wollen, das klappt nicht. Der Gewerkschaftsflügel um Ernst und Co. hat dabei ein gutes Argument, um bei der harten Haltung Richtung SPD zu bleiben. Mindestlohn, mehr Rente und Regulierung des Arbeitsmarktes – das Copyright auf vieles, über das sich SPD und Union derzeit streiten, liegt bei der Linkspartei. „Wir sind in der komfortablen Lage, dass die anderen bei uns abgeschrieben haben. Wir haben keinen Anlass, unsere Grundausrichtung zu ändern“, so Ernst. Warum regieren, wenn sich Opposition rentiert?

Der Reformerflügel hingegen träumt davon, das Erbe der FDP als Bürgerrechtspartei anzutreten. Die Linkspartei soll nicht nur darauf warten, was die SPD wieder falsch macht, sondern aktiv ein Mitte-links-Bündnis mitbauen. „Wir brauchen eine abgestimmte Arbeitsteilung zwischen SPD, Grünen und Linkspartei vor der nächsten Wahl“, sagt Korte. Das klingt dann doch ziemlich fern.

Und, ach ja, würden die Grünen eigentlich mitspielen?

Für die Grünen ist seit dem 22. September klar: Rot-Grün ist vorbei. Toni Hofreiter, neuer Fraktionschef, sagt: „Wir sind offen für beides.“ Für Merkel und Gysi. Im Parteivokabular heißt diese Kursbestimmung „grüne Eigenständigkeit“.

Hofreiter ist seit Jahren in der sogenannten Oslo-Gruppe, in der jüngere Grüne, Linkspartei- und SPD-Abgeordnete rot-rot-grüne Entspannungsübungen versuchen. „Ich möchte, dass 2017 auch eine rot-grün-rote Koalition möglich ist“, sagt er. Auf solche Sätze folgt in der Regel ein Aber, und zwar ein großes. Gysi und Co. müssten, so der grüne Fraktionschef, „in der Außen-, Finanz- und Europapolitik aufhören, Fundamentalopposition zu spielen“, und „ihre Haltung zur EU und Bundeswehreinsätzen unter UN-Mandat überdenken“. Damit bohrt Hofreiter zielsicher am Nerv der Linkspartei. Außerdem, so der Bayer kühl, müsse die SPD „endlich ihre ideologische Blockade“ der Linkspartei beenden – und zwar jetzt, damit 2017 überhaupt was geht. In dem Punkt funken Hofreiter und Korte auf einer Welle.

Falls die SPD im Osten einen niedrigeren Mindestlohn einführt, kann ich nur sagen: Viel SpaßKLAUS ERNST, FRAKTIONSVORSTAND DIE LINKE

Allerdings: Auch für linke Grüne hat Rot-Rot-Grün einen großen Nachteil. Beim Linksbündnis sind sie eher Supervisor der Beziehungskrise von SPD und Linkspartei. Die Annäherung an die Union haben sie zumindest selbst in der Hand.

Und die nächsten vier Jahre? „Kommt die Große Koalition, wird es sicher nicht leichter in der Opposition“, schwant Parteichef Cem Özdemir. Denn einen brillanten Lautsprecher wie Gysi haben die Grünen nicht. Da kann es schwierig werden, medial gehört zu werden. Zumal die Grünen wohl in ihrer Rolle als staatstragende Opposition bleiben werden und in Fragen wie dem Euro auch mal mit der Regierung stimmen. Nur so bleiben sie anschlussfähig an die Union.

Cem Özdemir setzt in der Opposition auf „ökologische Modernisierung und Bürgerrechte“. Allerdings sind der Fraktion mit Wolfgang Wieland und Jerzy Montag ausgerechnet zwei Bürgerrechtsexperten abhanden gekommen. Diese Leerstelle soll Konstantin von Notz füllen.

So wird die Arbeitsteilung zwischen Linkspartei und Grünen in der Opposition aussehen: Bei Energiewende und Bürgerrechten – Letzteres ein nach dem Aus für die FDP verwaistes Thema – werden die Grünen offensiv antreten, Gysi und Wagenknecht werden auf hämmernde Rhetorik von links setzen. Mal sehen, ob das reicht.