„Tod den Islamisten!“

Wie die packenden Geschichten auf der Vermischten-Seite des „Dillheimer Tagblattes“ einmal einen verträumten Staatsanwalt in Bedrängnis und in die Schlagzeilen brachten

Gekonnt wurde das Elend in Achtzeiler zerlegt und auf die letzte Seite gerückt

Heubach horchte in die Stille. War da nicht ein Kratzen und Schaben, ein Rutschen und Scharren, ein leichtes Raspeln und Hobeln? Heubach sah auf den Wecker. Das Ziffernblatt zeigte drei Minuten nach Mitternacht. Heubach schwitzte. Er stieg aus dem Bett und trat auf die Veranda der Missionsstation.

Schwarz hing die Nacht über dem Regenwald, düster brütete der See vor sich hin, ein runzliger Mondspalt schwamm wie tot im Schilf. „Nur Getier oder ein schlechter Traum“, dachte der Pater. Er griff nach der Wasserkaraffe und erstarrte. Da war es wieder. Er hörte verschlagenes Homunkeln, Lispeln und Leisetreten, auch ein Zündeln und Messerwetzen, welches jetzt ganz deutlich durch die Dielen drang, durch die Decke sickerte und sich hinter der Wand zu schaffen machte. „Verdammt, verdammt, verdammt“, knirschte Heubach, „die Islamisten!“

Zur selben Zeit wurde Kropp, der Stadtschreiber von Bernkastel-Kues, von einer Ansammlung gemeiner Stechmücken schier um den Verstand gebracht. Das von nervenzerfetzendem Sirren begleitete Geschäft der Blutsauger torpedierte seit Stunden alle Versuche Kropps, Diplom-Bibliothekarin Hörnig nach Monaten vergeblicher Belagerung doch noch zum Geschlechtsverkehr zu bewegen. Heute hatte er sie dreimal fast so weit gehabt, hatte den bebenden Leib der Hörnig dreimal in die Uferböschung gedrückt, Brust und Becken ausgiebig durchgewalkt, dreimal den Rocksaum bis zum Nabel geschoben und seine pelzige Zunge zwischen ihre Zähne gedrückt. Jedes Mal kam pünktlich die Attacke. „Autsch!“, plärrte die Bibliothekarin schon wieder, ruckte die Hand aus Kropps Hosenstall und ließ sie auf einen festen Schenkel klatschen. Diesmal schlug der Stadtschreiber zurück. Rasend vor Wut, Geilheit und verletzter Eitelkeit, also im Affekt, wie sein Anwalt später betonte. Denn Fräulein Hörnig verlor leider das Gleichgewicht und plumpste in die Mosel.

Während die Nichtschwimmerin in den Fluten versank, hatte sich Professor Zink tief im Inneren der patagonischen Kordilleren längst zur Ruhe gelegt. Doch ein urgewaltiges Poltern riss den weitgerühmten Höhlenforscher aus dem Schlaf. Er sprang auf, zog einen Scheit aus dem Feuer und blinzelte den Stalagmitenpfeilern folgend bis in die verschattete Kuppel der Felskathedrale, die, wenn seine Sinne nicht getrügt hatten, sogleich tonnernschwer über ihm zusammenstürzen würde. „Raus, nur raus!“, brüllte Zink. Die Warnung verhallte ungehört. Ignacio, sein indianischer Führer, vier Träger und Mucki, der treue Rauhaardackel, waren längst über alle Berge, hatten aber im nächsten Ort Alarm geschlagen, so dass die Leiche des Höhlenforschers geborgen und nach Heidelberg überführt werden konnte. Wie sich später herausstellte, starb er nicht umsonst, sondern im größten und bis dato gänzlich unbekannten Höhlensystem der Erde. Zu Ehren seines Entdeckers taufte man es Cueva de Zink.

Am anderen Ende der Welt, genauer gesagt in Klais bei Krünn, saßen derweil die Herren Törgel, Krapf und Pallhuber im „Wirtshaus zur Post“ über einer Maß Bier. Sie hatten schon viere leergetrunken und eine fünfte in Auftrag gegeben, als sich im Gebälk ein sinistres Knirschen bemerkbar machte. Kurz darauf brach die Frontseite der Gaststube unter ungeheurem Donnern, Klirren und Scheppern auseinander. So einen Radau hatte man im Oberbayrischen seit Kriegsende nicht mehr gehört. „Jo, gibt’s denn dös“, entfuhr es Törgel prompt, der hin und her gerissen zwischen Entsetzen und Erleichterung mit ansah, wie die staubbedeckten Schädel seiner Zechkumpane verbeult, aber weitgehend unversehrt aus dem Schuttberg ragten, anderseits die Augen nicht vom Aubinger Sepp wenden konnte, weil der Trucker zerrüttet von Alkohol, chronischem Ehezwist und Blödigkeit samt seinem Tanklastwagen mitten in der Wirtschaft stand.

Zwei Tage später hatte man das gesammelte Elend in bündige Achtzeiler zerlegt und auf die letzte Seite des Dillheimer Tagblattes gerückt. Dort las es Oberstaatsanwalt Schliekau, dem das „Vermischte“ seit Jahren die öden Bagatellprozesse verkürzte. Angesichts der Vorfälle in Bernkastel und Klais dämmerte er zurück ins Jahr 1972, auf die weichen Matten des Wettersteingebirges, wo er mit der blonden Sigrun nach einer zünftigen Jause nicht nur einmal … „Aaah“, der Oberstaatsanwalt ächzte und kratzte sich im Schritt. Man war jung, hatte Möglichkeiten, Reisen, Weiber, Abenteuer. Durch Schliekaus Hirn rumpelte Sentiment, das Ende von Pater Heubach rührte ihn fast zu Tränen. Jedenfalls weit mehr als die trostlosen Einlassungen dieses bengalischen Tagediebes, den er wg. Asylmissbrauchs in Abschiebehaft zu bringen hatte. Er bemerkte gar nicht, dass es im Gerichtssaal totenstill geworden war. Bis ihn eine schnarrende Stimme weckte: „Ihr Plädoyer, wenn ich bitten darf.“ Schliekau unterdrückte ein Gähnen. Er sah den Richter an, musterte den Tamilen, dann quoll es somnambul aus ihm heraus: „Tod den verdammten Islamisten!“

Am nächsten Morgen war Oberstaatsanwalt Schliekau der Aufmacher des Tagblattes, nicht im „Vermischten“, sondern auf Seite eins … MICHAEL QUASTHOFF