Wer fragt nach den Bedingungen?

betr.: „Rat der Toleranzwächter“ von Rudolf Walther zur Wertedebatte des „Bündnisses für Erziehung“, taz vom 28. 4. 06

Endlich einmal ein fundierter sowie differenzierter Artikel zu der schon länger stattfindenden neuen alten, scheinbar christlichen Wertediskussion anlässlich der neuen alten Migrantenproblematik. In diesen Zusammenhang zu stellen ist zudem die merkwürdige Diskussion in den deutschen Medien, leider auch in der taz, über den deutschen Nachwuchsmangel, der ausschließlich als Mangel im bildungsbürgerlichen Milieu diskutiert wird. Nimmt Mensch die unsägliche Bildungsdiskussion mit ihrem mehrheitlichen, ideologisierten Festhalten am spezifisch deutschen dreigliedrigen Schulsystem hinzu, wird deutlich, dass diese drei Diskurse rassistisch, sexistisch und sozialdarwinistisch zusammenhängen.

Wen kümmert die Situation der – möglicherweise türkischstämmigen – Verkäuferin, die auch samstags bis 20 Uhr bedienen muss, damit so genannte deutsche Karrieremütter Familie und Beruf vereinbaren können, ohne die – nicht so genannten – „deutschen Karriereväter“ einspannen zu müssen? Wer fragt nach den Bedingungen, unter denen die Mehrheit der Kinder, ob „altdeutsche“, „neudeutsche“ oder Migrantenkinder (insgesamt ca. 65 %), die nicht aufs Gymnasium gehen, lernen können (und müssen), und welche Zukunftschancen sie als junge Erwachsene haben? Wer thematisiert den, auch in der taz, gebetsmühlenartig vorgetragenen Unsinn, dass auf der einen Seite die Arbeit – womit selbstredend nur die bezahlte Erwerbsarbeit und nicht die zu 80 % von Frauen verrichtete unbezahlte Haus- und Familienarbeit gemeint ist – ausgeht, gleichzeitig aber die Erwerbsarbeitszeiten erhöht werden sollen? Dass damit Erwerbsarbeitsplätze, auch im Bereich der qualifizierten, gar akademischen Erwerbsarbeit vernichtet werden, scheint nicht wahrgenommen zu werden.

Aber: Wo sollen die nun angeblich zu fördernden akademisch ausgebildeten Mütter Erwerbsarbeitsplätze finden? Wo soll der potenziell akademisch zu bildende Nachwuchs der akademisch gebildeten Mütter später seine Existenzsicherung haben? Oder sollen nicht doch besser à la Schirrmacher, Matussek, Fabian und Konsorten Frauen das Heil im (neu-)bürgerlichen Heim suchen? Egalitäre Zugangschancen zu Wohnung, Bildung und Arbeit à la Walther – das ist ein Zurück in die 70er-Jahre! Für die Lösung aller Probleme muss es dann schon konsequenter und radikaler ein Zurück in die modifizierten 50er-Jahre mit der Förderung der nun männlichen und weiblichen selbst ernannten Elite sein – à la von der Leyens „Karrieremutter“ oder Merkels „Selfmadewoman“. Es ist viel passiert! Wie viel lassen wir noch passieren? MONIKA DOMKE, Köln