Geschätzter Kämpfer

Er hat keinen festen Platz im Team und doch ist Jan-Philipp Kalla (27) für die Mannschaft des FC St. Pauli längst vom Lückenbüßer zum Leistungsträger geworden. Über zehn Jahre kickt Kalla, der als Bube seine ersten Fußballschuhe für den FC Concordia Hamburg schnürte, bereits am Millerntor. Und lange sah es so aus, als würde „Schnecke“, wie Kalla nur genannt wird, ewig das fünfte Rad am Wagen bleiben. Er durfte ran, wenn sich andere verletzt hatten, mal als linker, mal als rechter Verteidiger, ganz selten als zentraler Abwehrspieler und fand sich stets auf der Bank wieder, wenn alle an Bord waren.

Seit er im Mai 2006 zum ersten Mal in der ersten Mannschaft zum Einsatz kam, brachte er es in sieben Jahren gerade mal auf siebzig Einsätze, viele davon nicht mal von Anfang an. Ex-Trainer Holger Stanislawski wollte ihn 2010 bereits aussortieren und zum FSV Frankfurt abschieben, doch Kalla blieb und biss sich durch. Auch Concordia und der HSV hatten ihn zuvor schon weggeschickt, weil sie ihm den Sprung in die Regionalliga nicht zutrauten. „Es gab immer welche, die fußballerisch talentierter waren“, gibt sich Kalla selbstkritisch.

Unter Trainer Michael Frontzeck hat sich der schon als ewiges Talent verspottete Defensivallrounder nun ganz langsam zum Stammspieler entwickelt, dessen neue Wirkungsstätte im defensiven Mittelfeld liegt. Mit Dynamik und Zweikampfstärke verdrängte er dort den Routinier Florian Kringe. Obwohl Kalla beim 0:0 gegen Sandhausen am Freitag unauffällig agierte, muss er kaum fürchten, so schnell wieder auf der Bank zu landen. Im Gegenteil: Der neue Leistungsträger darf während der verletzungsbedingten Abwesenheit von Fabian Boll, dem einzigen, der noch länger als Kalla am Millerntor kickt, die Mannschaft sogar als Kapitän aufs Feld führen. Und ist auf dem Weg zum Kult-Status. Kaum einer läuft mehr als er und steigt verbissener in die Zweikämpfe ein – ehrliche Fußballkost, die die Fans des Hamburger Zweitligisten zu schätzen wissen. „Schnecke ist Leidenschaft pur“, stellt auch sein Trainer ihm ein dickes Lob aus. Und wer aufgrund seines Spitznamens glaubt, Schnecke Kalla sei keiner der Schnellsten, der irrt gewaltig: Den Spitznamen verpasste ihm Mutter Eva, die am Millerntor die Stadionführungen organisiert, einst wegen seiner eingerollten Schlafposition.

Dass seine Mannschaft gegen den Abstiegskandidaten aus Sandhausen zwar drückend überlegen spielte, das Tor aber nicht traf und den Sprung in die Aufstiegsränge vorläufig verpasste? Kalla zuckt die Schultern und sagt „Das wirft uns nicht um.“ So wie auch ihn bislang kein Rückschlag umgeworfen hat.  MARCO CARINI