Sie lässt Berlin tanzen

KULTUR Die Tanz-Compagnie Sasha Waltz & Guest prägt das Kulturleben Berlins seit 20 Jahren. Und die Stadt prägt die Arbeit der weltbekannten Künstlerin. Eine Würdigung

Dass Sasha Waltz die Grenzen der eigenen Kunst öffnete, macht einen Teil ihres Erfolgs aus

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es kommt nicht oft vor, dass man von Berlin aus mit Neid auf Karlsruhe blickt. In diesem Fall aber mit gutem Grund: Dort zeigt das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) eine Ausstellung mit Videoinstallationen, Objekten und Performances, die eine Wiederbegegnung mit vielen Tanzstücken der Compagnie Sasha Waltz & Guests erlauben. Vor 20 Jahren hat sie sich gegründet, fast alle Produktionen entstanden in Berlin und waren hier zu sehen. Zum Jubiläum gibt es Wiederaufführungen bei den Berliner Festspielen und im Radialsystem – sowie Waltz’ Inszenierung von Strawinskys Jahrhundertoper „Le Strawinskys du Printemps“ in der Staatsoper im Schillertheater am Samstag.

Dass der Festreigen der Compagnie in Karlsruhe begann, hat unter anderem einen familiären Grund. Von dort kommen die Schwestern Sasha und Yoreme Waltz, Töchter eines Architekten und einer Galeristin. Yoreme, die Sasha Waltz’ Produktionen lange in vielen Funktionen begleitet hat, ist nach Karlsruhe zurückgekehrt und initiierte das Projekt im ZKM.

Sasha Waltz & Guests ist auch ein Familienunternehmen. Das hat intern die Atmosphäre geprägt und womöglich auch zum Erfolg beigetragen. Jochen Sandig, ihr Produktionsleiter seit der Travelogue-Trilogie, die sie Mitte der 90er Jahre international bekannt machte, war bald auch ihr Mann. Inzwischen tanzen die beiden Kinder, Sophia (11) und László (16) mit, etwa in „Le Sacre du Printemps“. Auch einige Tänzer sind seit fast 20 Jahren dabei. Sie bilden mit ihren Körpern und Augen das lebendige Gedächtnis der Compagnie, äußerst wichtig bei der Weitergabe des Repertoires an jüngere Tänzer.

Im Jahr 1992 war Sasha Waltz nach Berlin gekommen, als Stipendiatin des Künstlerhauses Bethanien. Was sie dort, in ihren ersten, „Dialog“ genannten Improvisationen mit anderen Künstlern entwickelte, bildete Material für die Trilogie Travelogue. Mit deren witzigen und erzählerischen Stücken, nah am Alltag gebaut, hatte sie bald ein Publikum gefunden, das über die bisherige Tanzszene hinausging. In den nächsten Produktionen, die in den Sophiensælen entstanden, weitete sich das inhaltliche und ästhetische Spektrum ihrer Arbeiten. 1997 war sie mit „Zweiland“ zum ersten Mal zum Theatertreffen eingeladen.

Waltz schaffte es immer wieder zu überraschen, weil sie sich selbst permanent neue Zugänge zum Tanz und Körper suchte. Mal ging sie von Geschichten aus, mal von sozialen Milieus, mal gab Architektur den Anstoß, mal die Herkunft ihrer Tänzer. Dass sie so die Grenzen der eigenen Kunst öffnete, machte ebenso einen Teil ihres Erfolgs aus wie ihre bilderreiche, sich vielen Lesarten öffnende Tanzsprache.

Das setzte sich fort, als sie im Jahr 2000 mit Thomas Ostermeier die künstlerische Leitung der Schaubühne übernahm und ihre Tanzabende regelmäßig zum Festival in Avignon eingeladen wurden. Als sie 2005 vom Lehniner Platz wegging, schlug sie mit ihrer ersten Operninszenierung – Purcells „Dido & Aenas“ – wieder ein neues Kapitel auf.

Es gibt enge Verknüpfungen zwischen der Arbeit von Sasha Waltz und der Stadt. Sie hatte im Bethanien, im Podewil und in den Hackeschen Höfen Proberäume, mit Jochen Sandig entwickelte sie die Sophiensæle, die Elisabeth-Kirche und das Radialsystem als Veranstaltungsorte mit. Vor allem aber wurde ihr Interesse für Architekturen und deren Geschichte Anlass für legendäre Raumerkundungen: Sasha Waltz & Guests tanzten im Palast der Republik vor dessen Abriss, im Jüdischen Museum und im wiederaufgebauten Neuen Museum vor deren Eröffnung. Viele dort gewonnene Motive flossen in spätere Stücke ein.

Deshalb schien es umso schmerzhafter, als die Compagnie im Februar laut überlegte, ob sie sich aufgrund der jahrelangen Unterfinanzierung überhaupt in Berlin halten könne. Sasha Waltz war verärgert, weil der Senat die Option, ihr die neu zu besetzende Stelle der künstlerischen Leitung beim Staatsballett anzutragen, nicht wahrgenommen hatte. Knapp die Hälfte des Etats der Compagnie von ungefähr 4 Millionen Euro kommt aus Berliner Fördermitteln, vom Hauptstadtkulturfonds und einem Haushaltstitel für die Compagnie. Die andere Hälfte muss sie mit Gastspielen und Koproduktionen selbst erwirtschaften. Deswegen kann sie nicht so oft in Berlin auftreten, wie sie gern möchte. Wichtige Koproduktionspartner sind die Opera La Monnai in Brüssel und das Grand Theatre de la Ville in Luxemburg.

Inzwischen hat sich die Situation etwas beruhigt. Es gibt Hoffnung, dass dem Bekenntnis seitens des Staatssekretärs für Kultur, Andre Schmitz, die Compagnie halten zu wollen, auch entsprechende Beschlüsse folgen. Zurzeit ist eine Etaterhöhung von 1 Million Euro für Sasha Waltz & Guest angemeldet für den nächsten Doppelhaushalt 2014/15. Allerdings muss das Parlament dem noch zustimmen.

Im November hat die Compagnie so viele Auftritte in Berlin wie sonst nie. Dem in Windeseile ausverkauften Ballettabend in der Staatsoper folgen im Haus der Berliner Festspiele drei Wiederaufführungen ihres 20 Jahre alten Erfolgsstücks „Twenty to eight“, in der Originalbesetzung mit Sasha Waltz selbst. Im Radialsystem zeigt sie dreimal „Impromptus“, ein Stück, das zur Musik von Robert Schumann 2004 an der Schaubühne entstanden ist und erstmals ihr Interesse an der Auseinandersetzung mit klassischer Musik bezeugte.

Man kann diesen November als ein Versprechen interpretieren: dass die Compagnie hier viel mehr zu zeigen bereit ist – so sie denn die Mittel dafür erhält.

■ Kritik von „Le Sacre“ SEITE 24 Jubiläumsprogramm unter www.sashawaltz.de