Textliche Freudiana

Familiäres, im Grunde nur dies, hat Eva Weissweiler in ihrer Biografie über Die Freuds (Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 484 Seiten, 24,90 Euro) ausgegraben. Dem Geheimnis dessen, warum es gerade Freud war, der gegen den wissenschaftlichen Mainstream seiner Zeit schwamm, kommt auch sie nicht nah – aber man erliest sich das Panorama einer fidelen Dynastie voller Zwist und Liebe, allesamt auf dem Weg, sich gesellschaftlich, als Juden, nicht unterkriegen zu lassen.

Micha Brumlik schildert den Vater der Psychoanalyse in Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts (Beltz, Weinheim 2006, 308 Seiten, 22,90 Euro) nicht nur als Arzt, als Zuhörer, einen vielleicht etwas unmodisch gewordenen Interpreten, sondern als Grübler über das, was nicht begriffen werden kann, zieht man nur Soziologisches, Politisches oder Medizinisches als Musterschablonen für die Gräuel der vergangenen 150 Jahre heran. Und im Gegensatz zu allen Talkshows zum Thema beharrt Brumlik darauf, dass das von Freud erkannte (aggressive wie lustbergende) Potential des Sexuellen nicht verglommen ist – es stelle sich nur anders dar.

In die Zeit der (vorzüglich christlich orientierten) Neofamiliarisierung passt die Arbeit von Frank Dammasch und Hans-Geert Metzger, die den Band Die Bedeutung des Vaters – Psychoanalytische Perspektiven (Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2006, 336 Seiten, 29 Euro) herausgegeben haben. Ein vor allem für Spezialisten – aus Heil- und Zuhörberufen – geeignetes Kompendium, das sich auf die These einigt, ein Vater werde für jedes Kind benötigt. Jedoch nicht als streng-gütige Figur in Opposition zur weichen „Mutter“, vielmehr, möglicherweise als Geste aktuellen Familienglaubens, als Mann, der sich um sein Kind kümmert, als sei er eine Mutter und doch ein (für das Kind identifikationsfähiger) Mann. Beide Elternteile „können sich mit fordernden und gewährenden, aktiven und passiven Seiten abwechseln“.

Eric R. Kandel, Psychiater und Nobelpreisträger für Medizin des Jahres 2000, ist unter Neurobiologen die mächtigste Person, sich den Befunden der Psychoanalyse zu öffnen. Sein Buch Psychiatrie, Psychoanalyse und die neue Biologie des Geistes (Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, 340 Seiten, 28 Euro) muss studieren, wer sich im modernen neobiologischen Zeitgeist auskennen möchte: Alles (Tun und Lassen) sei, so lässt sich bündeln, gehirnphysiologisch begründet – und Freud hat so seine Verdienste darum, ebendies zu ermessen. Kandel, der Freud wohlwollend liest, ist klug genug, die psychoanalytische Praxis nicht zu missachten: Doch letztlich sucht aber auch er nach Spuren des vermeintlich Natürlichen im Menschen – und liefert doch nur eine (wohl niemals zu vollendende) Kartografie des Gehirns, nicht der Psyche(n).

Lexika sollen Kompaktheit verströmen, die Fassbarkeit eines untersuchten Gegenstandes in robuster Ordnung. Hans-Martin Lohmann und Joachim Pfeiffer sind die Herausgeber des Freud Handbuchs zu „Leben, Werk, Wirkung“ (J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 2006, 454 Seiten, 64,95 Euro), jener Wissenschaft, die magisch scheint, denn Dekade für Dekade überlebt sie gut, obwohl alle Welt sie für tot erklärt. Dieses schwerwiegende Buch kann auch nicht erklären, was Stunde für Stunde auf der Couch passiert. Aber es gibt einen Überblick über das, was so gestritten, erhellt oder verworfen wird. Auffällig nur: Dissidente Debatten in der freudianischen Community über die Fragwürdigkeit der (hetero-)sexuellen Genitalnorm (siehe Dannecker, Reiche, Morgenthaler, Parin) sind nicht gespiegelt. Ebenso fehlt die Kritik durch die Queer Theory. JAF