„Angela Merkel hat recht“

PROTEST NSA-Kritiker haben in Washington für schärfere Kontrollen und mehr Aufklärung demonstriert. Es kamen jedoch nur einige Tausend

WASHINGTON taz | „Hört auf, uns zu observieren!“, heißt es auf dem großen Banner, das vor dem Kapitol flattert. Darunter, auf kleinen Postern, ist zu lesen: „Danke, Edward Snowden“. Ein Mann trägt die Botschaft „Gute Menschen spionieren nur ihre Todfeinde aus“ mit sich herum, und eine Frau hat aus Protest auf ihren Karton geschrieben: „Angela Merkel hat recht. Es ist inakzeptabel, Alliierte auszuschnüffeln“.

Vier Monate nach Beginn der Enthüllungen des US-Amerikaners Edward Snowden haben Kritiker des NSA-Überwachungsprogramms am Samstag in Washington erstmals eine größere Demonstration für den Whistleblower veranstaltet, der vorübergehend nach Russland ins Exil gegangen ist. Einige Tausend Menschen sind zusammengekommen. Radikal rechte Anhänger der Tea Party und moderate Republikaner waren ebenso vertreten wie Künstler, Bürgerrechtler und Linke.

„Ich bin hier von lauter Linken umgeben“, sagt Ralph Johnson, Republikaner aus Boston, der vor seiner Verrentung ein Privatradio betrieb. Washington habe zu viel Macht, findet er und will, dass die Verantwortlichen für die verfassungswidrige Schnüffelei vor Gericht kommen.

Als Datum für die Demonstration haben die Veranstalter – mehr als 100 Gruppen – das zwölfjährige Bestehen des „Patriot Act“ gewählt. Das wenige Wochen nach den Terrorattentaten vom 11. September 2001 entstandene Gesetz hat zahlreiche Bürgerrechte ausgehöhlt. Unter anderem autorisiert es unbefristete Inhaftierungen, Durchsuchungen ohne richterliche Befehle sowie die Aufhebung des Bankgeheimnisses. Präsident George W. Bush unterschrieb den „Patriot Act“ als Erster. Sein Nachfolger Barack Obama hat ihn 2011 – nur unwesentlich verändert – für weitere vier Jahre verlängert.

Beifall für die Kanzlerin

Der ursprüngliche Autor des Gesetzes, James Sensenbrenner, spricht heute von einem „Versagen der Aufsicht“ über die Geheimdienste und fordert, aus den Enthüllungen von Snowden Lehren zu ziehen. In dieser Woche wird der Republikaner aus Wisconsin gemeinsam mit einem Demokraten aus Vermont, Patrick Leahy, ein neues Gesetz vorlegen, das die Dienste unter stärkere Aufsicht stellen und ihre Macht beschränken soll.

Der sogenannte USA Freedom Act von Sensenbrenner und Leahy soll unter anderem die unspezifische und massenhafte Sammlung von Metadaten beenden und für größere Transparenz bei der Überwachung von Internet- und Telefongesellschaften sorgen. Es ist der zweite Anlauf in diesem Jahr für ein Gesetz zur Kontrolle der Geheimdienste. Bereits im Juli hatte der Tea-Party-Abgeordnete Justin Amash ein ähnliches Gesetz vorgelegt, die Mehrheit im Repräsentantenhaus aber knapp verfehlt.

Bei der Abschlusskundgebung vor dem Kapitol bekommt nicht nur Snowden Beifall; wegen ihrer Beschwerde bei Obama wird auch Merkel beklatscht. Und die Whistleblowerin und Anwältin Jocelyne Radack verliest eine Grußbotschaft von Snowden persönlich: „Hier geht es nicht um Parteien“, sagt sie für ihn, „hier geht es auch nicht um Terrorismus. Es geht um Macht, Kontrolle und Vertrauen in die Regierung.“

Ein republikanischer Senator aus Florida dagegen bezeichnete die Aufregung in Europa unterdessen als Theater für die heimische Öffentlichkeit. „Jeder spioniert gegen jeden“, sagte Marco Rubio, dem Chancen eingeräumt werden, eines Tages Präsidentschaftskandidat zu werden.

DOROTHEA HAHN