PS: Ich liebe dich

SPRACHE Angela Merkel redet von Freundschaft, Vertrauen und Verständnis. Die Codes der USA lauten etwas anders: S2C32, F6 und Special Collection Service

„Eine Semantik des Persönlichen, eine Sprache der Verdummung“

POLITOLOGE HERFRIED MÜNKLER

VON MARTIN KAUL

BERLIN taz | Horst Seehofer ist ja sonst eher ein launiger Geselle. Meist lächelt er überlegen vor sich hin, wenn er sich auf regulierte Art empört. Jetzt aber, sagt er, ist er enttäuscht. „Ich bin richtig sauer.“ Die Überwachung der Bundesregierung durch den US-amerikanischen Geheimdienst macht ihn betroffen.

Sie sind alle betroffen. „Das Abhören unter Partnern ist ein Vertrauensbruch“, sagt Innenminister Hans-Peter Friedrich. Zwischen Freunden sei Vertrauen und Verständnis nötig, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Vertrauen, Freundschaft, Verständnis – es hört sich an wie eine unglückliche Liebesgeschichte, wie die Enttäuschung nach einer verlorenen Nacht, wenn drei der mächtigsten deutschen Politiker von dem erzählen, was derzeit viele empört: Die USA attackieren die Kommunikation der Bundesregierung.

Merkel redet von Freundschaft, doch die US-Codes der Verständigung lauten S2C32, SCS und F6. Mitilfe dieser Codes können die USA Angela Merkel ganz besonders gut verstehen.

Glaubt man den neuen Berichten des Spiegels, dann führen die USA ihren Lauschangriff direkt aus dem Obergeschoss der US-amerikanischen Botschaft in Berlin aus. Von dort könnte die NSA Handy-Netze, WLAN-Knoten und Satellitenkommunikation im Berliner Regierungsviertel direkt abschöpfen. Zuständig: Referat S2C32, Signal Intelligence Directorate. Ein Antennensystem, Codename Einstein, vermutet der Spiegel, werde da hinter einem funksensiblen Sichtschutz betrieben. Dort residiert auch die Einheit mit dem Namen „Special Collection Service“, kurz SCS, die in der NSA auch unter der Kurzform F6 bekannt ist. Dass es hier nicht so sehr um Vertrauen geht, zeigt die Tatsache, dass Merkels Telefon bereits seit 2002 auf der Liste der NSA steht.

Spionage, direkt aus der Botschaft heraus?

Das ist nach deutschem Recht illegal.

Doch es war nicht die Leistung der deutschen Spionageabwehr, die die Regierung auf den Verdacht brachte, dass sie im Fokus stehen könnte. Sie erfuhr es eher so aus Zufall, durch Recherchen des Spiegels, so als ob einen die beste Freundin darauf hinweist, dass da ein fremder Schlüpfer unter dem Ehebett liegt. Seitdem lässt sich tagtäglich ein bisschen präziser ein neues Bild der deutsch-amerikanischen Freundschaft zeichnen. Nur: Dass die Bundesregierung an der Aufklärung dieses Bilds wesentlich beteiligt ist, daraus ergeben sich nicht besonders viele Anhaltspunkte. Nun ist die Frage, ob sie sich nur nicht richtig verstanden fühlt – oder ob sie selbst zu lange nichts begriffen hat.

Noch am Mittwoch hatte sich US-Präsident Barack Obama am Telefon gegenüber Merkel überrascht gegeben. Dann wurde am Wochenende bekannt, dass Obama seit drei Jahren von der Überwachung Merkels gewusst haben soll. Nach einem Bericht der Bild am Sonntag wurde Obama 2010 von NSA-Chef Keith Alexander persönlich über die Maßnahme informiert. Später soll er ein umfassendes Dossier über Merkel angefordert haben.

Es gibt seit Langem gute Gründe, davon auszugehen, dass die US-Regierung ein besonders aufklärerisches Interesse an Deutschlands Regierungskommunikation haben könnte. Spitzelei unter sogenannten Freunden ist ohnehin nichts Neues. Alarmiert dürfte die Bundesregierung aber spätestens sein, seit durch die Snowden-Enthüllungen bekannt wurde, dass der britische Geheimdienst GCHQ eigens überwachte Internetcafés für Diplomaten einrichtete, dass die NSA Wanzen in Büros von EU-Politikern installierte oder dass die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff überwacht wurde.

Und es benötigt nicht viel Fantasie zu erahnen, welche Themen bei den US-Geheimdiensten so auf Interesse stoßen dürften: Obamas Administration wünscht sich seit Langem mehr Wachstumsimpulse aus Europa – und Angela Merkel ist eine harte Verfechterin eines strikten Sparkurses, den sie in Europa durchgesetzt hat. In den letzten Jahren sorgte es auch immer wieder für Zündstoff, in welche Länder die deutsche Bundesregierung den Export von Waffen oder sogenannten Dual-Use-Gütern genehmigte – Informationen, die für die Geostrategen im Weißen Haus hohe Relevanz haben.

Und so wird langsam die Frage lauter, inwiefern das Weiße Haus seine Antennen nicht nur im Berliner Regierungsviertel auf Empfangsmodus hat. Welche Wirtschaftsinformationen fischen die US-Behörden ab, etwa wenn es um neue Auftragsvergaben für die konkurrierenden europäischen und US-amerikanischen Luftfahrzeughersteller Airbus und Boeing geht? Wie umfassend ist die NSA darüber im Bilde, welche Patente die Entwicklungsabteilungen von Bayer und Schering demnächst anzumelden gedenken? Und was machen die Amerikaner in ihrem Konsulat in der Frankfurter Innenstadt, wo auch die Deutsche Bank und die Europäische Zentralbank ihren Sitz haben?

Dort, berichtet der Spiegel, verfügt die NSA ebenso über eine Spionageniederlassung wie in Genf, Paris, Madrid und an insgesamt 80 Standorten weltweit.

Spätestens jetzt ist zu fragen: Was wollen die US-Amerikaner? Und: Warum erkundigten sich die deutschen Sicherheitsbehörden nicht eigentlich vorher mal etwas ausführlicher? Es war wohl eine Frage des Vertrauens.

„Vertrauen ist gut, aber mehr Kontrolle scheint dringend notwendig.“ Das ist kein Satz aus der Linksfraktion, sondern von Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Er verlangt von der Bundesregierung nun ein beherztes Vorgehen gegen Wirtschaftsspionage. Und die Mehrheit der Deutschen ist inzwischen dafür, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA auf Eis zu legen.

Verständnis, Freundschaft, Vertrauen.

Herfried Münkler lehrt als Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Uni. Er spricht von einer „Semantik des Persönlichen“, einer „Sprache der Verdummung“, die die Bundesregierung da nutze. Diese Sprache sei geeignet, den Blick darauf zu verstellen, wie die Prozesse tatsächlich liefen. Ein Code wie S2C32 ist dazu vielleicht geeigneter. „Man muss mindestens 50 Prozent des Problems bei sich selbst suchen und bei seinen Fähigkeiten, solche Lauschangriffe abzuwehren“, sagt er.

Das sehen inzwischen auch andere so. SPD, Grüne und Linken wollen im Bundestag nun einen Untersuchungsausschusses einrichten – dabei soll es auch um das Versagen der deutschen Geheimdienste gehen. Die Union lehnt das allerdings ab.