Der VW-Geist lebt

Bei Volkswagen hat der Betriebsrat doch noch was zu melden. Bei den Komponentenwerken mit ihren 32.000 Mitarbeitern stehen die Zeichen günstig, und: 35- statt 28,8 Stundenwoche möglich, dafür aber Arbeitsplatzgarantie bis 2011

Von Kai Schöneberg

Wenn der Boss sagt, das Unternehmen sei „nicht in seiner Existenz gefährdet“, riecht das nach sehr großen Problemen. Wie genau er diese lösen möchte, war dem frisch im Amt bestätigten VW-Chef Bernd Pischetsrieder auch am Mittwoch bei der VW-Hauptversammlung nicht zu entlocken. Deutlicher wurde Bernd Osterloh, Konzernbetriebsratschef, in einer Brandrede. Der Marke Volkswagen stehe das „Wasser schon fast bis zum Hals“, sagte Osterloh vor Betriebsräten und Vorstand. „Überall im Konzern gebe es Feuer, „die sich nicht im Vorbeigehen austreten lassen, sondern sich zu ganzen Waldbränden entwickelt haben“, so Osterloh. Entweder Europas größter Autobauer schaffe es, sich „Richtung Toyota zu entwickeln, oder wir teilen das Schicksal von General Motors“. Die Japaner dürften bald den angeschlagenen US-Riesen General Motors als größten Autobauer der Welt ablösen. Bis 2010 will Toyota zehn Millionen Autos verkaufen, fast doppelt so viele wie VW derzeit.

Sex-Skandale, teure VW-Mitarbeiter, schwächelnde Kernmarke, mangelnde Produktivität, zu wenig Auslastung – lange sah es aus, als ob die einst mächtige Arbeitnehmerseite bei Europas größtem Autokonzern kräftig an Einfluss verloren hatte. Man wolle doch nur wissen, wohin der Zug fährt, ehe man die Mitarbeiter dem Zugführer anvertraue, hatte Osterloh gesagt – und so einen monatelangen Poker um die Vertragverlängerung für Pischetsrieder bis 2012 entfacht. Die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat hätten nichts Konkretes erreicht, flüsterten arbeitgebernahe Aufsichtsratskreise nach der Sitzung. Das stimmt nicht ganz. Wichtige Forderungen des Betriebsrats wurden umgesetzt.

So liegt die Aufsicht über die Komponentenfertigung nicht mehr beim bislang als Sanierer gefeierten VW-Markenchef Wolfgang Bernhard, sondern wieder direkt bei der Konzernspitze. Während Bernhard die Standorte in Hannover, Braunschweig, Salzgitter oder Wolfsburg mit insgesamt 32.000 Mitarbeitern offenbar abstoßen oder sogar schließen wollte, wirft ihm Osterloh vor, sie schlecht gerechnet zu haben: „Diese Analyse war von vornherein so angelegt, dass am Ende nur das Ergebnis Verkaufen oder Schließen stehen konnte.“

Dabei sei es „betriebswirtschaftlicher Wahnsinn“, die „Komponente“ abzuschmelzen. Das seien „die Bereiche in der Automobilindustrie, in denen die Wertschöpfung künftig am höchsten sein wird. „Das“, so Osterloh, „weiß jeder Mittelständler, der dort tätig ist.“ Auch das große Vorbild Toyota entwickele und fertige „den größten Teil der Komponenten in der Toyotafamilie selbst“.

Nach „Denver und Dallas“ – so nannte ein Aktionär das VW-Hickhack seit mehr als einem Jahr – fährt VW nun offenbar wieder Richtung Kerngeschäft: Autos verkaufen. Mindestens 20.000 Stellen sind nach bisherigen Berechnungen zu viel, die Frage darüber, wie sie abgeschmolzen werden, laufen an.

Entscheidend dürfte die Vereinbarung im Aufsichtsrat sein, dass künftig Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung in der Konzernstrategie „gleichrangig“ sind. Osterloh hat bereits eingeräumt, über 35 statt bislang 28,8 Stunden Arbeit pro Woche mit sich reden zu lassen, wenn dadurch keine Jobs in Gefahr sind. Gleichzeitig gilt der Tarifvertrag über sichere Arbeitsplätze für alle bis zum Jahr 2011.

Angestrebt werde nicht ein maximaler Personalabbau, sondern ein Finanzziel, hatte Pischetsrieder zuletzt betont. Vier Milliarden mehr Gewinn als 2004 soll in zwei Jahren rausspringen. Der Weg dahin führt nicht nur über weniger Jobs, sondern auch über ein besseres Management.