Klein und nicht besonders fein

Mit der Queen darf man in Großbritannien alles machen: James Cauty, der ehemals mit seiner Band The KFL Nummer-1-Hits für die Charts produzierte, stellt in Berlin seine Kollektion gefälschter Briefmarken vor. Es geht um die Entleerung der Zeichen

VON JÖRG SUNDERMEIER

Er ist ein freundlicher Herr, grau- und langhaarig, ein smarter Brite, der exakt so wirkt, wie man sich einen britischen Künstler landläufig vorstellt. James Cauty akzentuiert genau, seine Augen sind, obschon er an diesem Tag bereits mehrere anstrengende Interviews hinter sich hat, sehr wach. Vor ihm auf dem Tisch eines Kreuzberger Cafés liegen ein paar Briefmarken. Die Briefmarken sind allesamt gefälscht. Cauty hat sie selbst gedruckt. Sie sind seine Kunst: Heute eröffnet in der Galerie The Aquarium eine Cauty-Ausstellung mit eben diesen Briefmarken.

In Deutschland sieht man es ungern, wenn sich einer seine eigenen Briefmarken druckt. Jörg Schröder, der Gründer des März Verlages, erzählt, dass er 1974 Briefmarken mit dem Konterfei Lenins gedruckt hat, den Anlass dafür bot dessen 50. Todestag. Schröder wollte mit dieser Briefmarke, die er ein paar hundertmal auf Kuverts klebte und an die damaligen Bundestagsabgeordneten verschickte, dagegen protestieren, dass die Deutsche Post den Todestag des Politikers missachtet hatte. Das Ganze war ein großer Spaß, lebte von der Lust an der Piesackerei. Doch der Spaß kostete Schröder, da er Briefmarken, die man ja sogar als Währung einsetzen kann, gefälscht hatte, nach einem Prozess rund 12.000 Mark.

Cautys Briefmarken haben es ebenfalls in sich. Und Cauty ist ebenso von der Lust an der Piesackerei getrieben. Seine Marken zeigen die Queen, wohl das bekannteste Briefmarkenmotiv im Commonwealth: mit Gasmaske oder als Affen. Sie zeigen den Big Ben, der gerade, offensichtlich nachdem ein Flugzeug eingeschlagen ist, explodiert, sie zeigen einen brennenden Tony Blair, brennende Beatles auf der Abbey Road oder den simplen Schriftzug „I protest“. Manche dieser Briefmarken konnte er, so erzählt er, ohne weiteres verschicken, manche der Briefe aber kamen nicht an. Belangt wurde er dafür nie. „Warum sollte ich dafür verklagt werden? Mit der Queen darf man in Großbritannien alles machen.“ Später ist er denn auch überrascht, dass man in Deutschland nicht einfach die deutsche Flagge verbrennen darf. Ein derartiges Verbot wäre für Großbritannien „undenkbar“. Haben die Briten mehr Humor? Nein, lacht Cauty, man greife dort nur anders ein. Mithilfe des Copyrights nämlich.

Cauty hat den Staat oft gereizt, vor allem aber führt er einen erbitterten, mitunter sehr lustigen Kampf gegen das geistige Eigentum. Seine mit Bill Drummond gegründete Band The KLF wurde bereits 1987 von ABBA verklagt, weil sie große Teile von „Dancing Queen“ für einen eigenen Track verwendet hatte. Seither stand der Name KLF nicht nur für „Kings Of Low Frequency“ und andere Fantasienamen, sondern auch für „Kopyright Liberation Front“. „Alle Künstler in allen Jahrhunderten haben voneinander geklaut“, sagt Cauty, „dann plötzlich gab es die Idee vom ‚Geistigen Eigentum‘ – künstlerische Ausdrucksweisen und Gedanken waren Besitz einer Person. Der Kunst hilft das nicht, den Rechtsanwälten aber schon.“

Mit The KLF rollte der 1956 geborene Cauty die Charts von hinten auf. The KLF, das Duo nannte sich manchmal auch The Timelords, K Foundation oder The Justified Ancients of Mu Mu, hatte mehrere Nummer-1-Hits. Schon nach dem ersten Erfolg veröffentlichten Drummond und Cauty das Buch „The Manual (How to have a number one – the easy way)“, eine Anleitung, wie man ohne Vorkenntnisse in wenigen Monaten Chartstürmer werden könne. Das Buch gilt heute als Klassiker – und ist selbstverständlich kostenlos downloadbar. Als The KLF jedoch 1992 mit einem Brit Award geehrt wurde, stellte das Duo seine Arbeit ein. Der Spaß war etabliert, also unspaßig.

Cauty gründete danach The Orb mit, ansonsten macht er Remixe für diverse Bands, unter anderem U2, lebt jedoch eher zurückgezogen in London. Dass The KLF in Deutschland bis heute verehrt werden, befremdet Cauty ein wenig. „In London habe ich keinen Kultstatus“, sagt er. Dort habe jeder eine Band gehabt, oder sei ein Star oder Star gewesen.

Die Briefmarken, die es selbstredend auch auf größere Leinwände gezogen gibt („für die Sammler“), produziert er mithilfe seines Photoshop-Programms. Die Produktion ist keine große Kunst, viele der Motive könnten von einem No-Global-T-Shirt-Drucker stammen. „Ein brennender Blair ist natürlich simpel“, sagt Cauty, „und einen Bush mit Hitlerbärtchen würde ich gar nicht erst machen. Mich interessiert das Icon, wenn ich einen explodierenden Big Ben gestalte, und nicht eine platte politische Aussage.“ Gerade in Reihung, wie Cautys Buch „Stamps Of Mass Destruction and other postal Disasters. Vol. II“ zeigt, entleeren sich die Motive gegenseitig, es entsteht ein Zeichenwahn, aus dem sich keine konkrete Aussage ableiten lässt. Der Protest gegen den Krieg wird, ebenso wie die Kriegspropaganda, als leere Geste vorgeführt. Lediglich das Medium, die Briefmarke, bleibt als Bedeutungsträger übrig. Der staatlichen Bildproduktion wird eine eigene entgegengehalten. Doch vielleicht ist das schon zu viel interpretiert. Denn auf die Frage, warum er Briefmarken nutze, hat Cauty eine simple Antwort: „Sie sind leichter als Gemälde, lassen sich billiger produzieren und man wird sie schneller los.“

James Cauty: „A Stamp Collector’s Guide to World Domination“, The Aquarium Berlin, Falckensteinstraße 35, Eröffnung: heute 19 bis 23 Uhrwww.cnpdonline.com/home.htm