Deutschland, deine Feste

Bierdusche, Misttaufe und Fang den Mühlstein. Ein Bilderbuch deutschen Brauchtums

Zum Fest wird das hässlichste Mädchen des Dorfes gewählt und in den Brunnen geworfen

Mit dem Mai ist der Frühling im laufenden Jahr angekommen. Die Tage werden heller, die Nächte wärmer, und damit beginnt die kalenderdicke Zeit der Volksfeste und Jahrmärkte.

Zum 100. Mal findet in diesem Jahr die Schweinskirmes in Mengershausen statt. Mit der traditionellen Frage „Hau jö die Säu?“ und der vorgeschriebenen Antwort „Hau dö die Säu!“ holen die Einwohner des Ortes Punkt 15 Uhr einander von zu Hause ab und begeben sich zum festlich mit Schweinsfüßen ausgelegten Dorfanger. Er wird einmal im „Schweinsgalopp“ auf allen vieren umrundet, ehe das Festzelt, der „Koben“, betreten werden darf. Ein „Schweinepriester“ und eine „Pottsau“ werden zum Festvorstand ernannt und vollziehen unter dem rituellen Grunzen der männlichen und Quieken der weiblichen Besucher die feierliche „Besamung“, die aber nur in einem Kuss besteht, seit das Fernsehen regelmäßig zu Gast ist. Anschließend werden auf dem Podium mit dem Kommando „Schwarte aho!“ mehrere Dutzend Borstentiere abgestochen.

Nur Anekdoten, die die älteren Einwohner zu später Stunde erzählen, erinnern noch an früher, als inmitten der Festgesellschaft geschlachtet wurde und der eine oder andere Bauer spurlos verschwand. Genau wie früher aber gibt es nun frische Schweinswürstel, Schweinebraten, Schweinegehacktes und einen Schnaps aus dem Blut der letztjährig gemetzelten Sauen, es wird „schweinisch“ getanzt und gefurzt und „alle fühlen sich saugut“, wie die Feiernden dem fremden Besucher immer wieder mit einem fettigen Schmunzeln auf den Lippen versichern.

Traditionell an der Möselhöhle, wo im 11. Jahrhundert der heilige Kretinus seine Erscheinung von der Begegnung des heiligen Geistes mit der Jungfrau Maria hatte, beginnt die Kirmes in Murnau. Nach der Grottenweihe durch Gemeindepfarrer Bubenstreicher bewegt sich der Zug der Einwohner unter den Geräuschen der Spielmannskapelle zum Festplatz.

Bereits am Vortag haben die Junggesellen mit der Misttaufe das hässlichste Mädchen des Dorfes gewählt, das nun in den Brunnen geworfen wird und dort die fünf Festtage verbringt. Schädelknacken, Pferdetreten, Kinderklopfen, Fang den Mühlstein, Bierdusche und der beliebte Weiberstich sind nur ein paar der Attraktionen, deren Höhepunkt das althergebrachte Hängen bildet. Dabei wird der „Fuddl“, ein Mehlsack mit dem aufgemalten Gesicht des unbeliebtesten Bürgers, am Galgen hochgezogen. Der Bürger selbst muss zum Spaß auf einer geschärften Heugabel einen Blutritt absolvieren, bevor er wieder für ein Jahr in die Dorfgemeinschaft aufgenommen wird.

Für die Liebhaber alter Bräuche ist auch die „Spetzelmess“ in Villingen ein Muss, auf der ausgestorbene Handwerke wie das Schuddeln und das Berchteln, das Knipfen und das schwierige Freckern oder das Gullern der Dulze wieder zum Leben erweckt werden. Auch die Jahrmarktsbuden, an denen es zum Beispiel kleine Jahrmarktsbuden als Spielzeug zu kaufen gibt, zählen zu den Schlagern des Festes.

Ebenso zum Touristenmagneten entwickelt hat sich die „Trachtentrift“ im benachbarten Schwenningen, bei der die Ochsen und Kühe des Ortes in Hose und Rock durch die Hauptstraße ziehen und ihnen eine Maske mit den Gesichtszügen ihres Bauern übergestreift ist.

Mehr auf moderne Attraktionen setzt das junge „Open for you all Festival“ in Korschenbroich: Die berühmte Holzachterbahn ist nach den Unfällen der drei letzten Jahre auch diesmal wieder rechtzeitig aufgebaut worden, ebenso die Gleichstromrutsche und die lebende Dummy-Anlage.

An ein Event-Publikum anderer Provenienz wendet sich schließlich die zweitägige Tuchprozession von Holzkirchen zum Bogenberg, die zu Ehren der seligen Errata stattfindet, die einst einem Räuber ihr Gewand schenkte. Die Pilger halten daher ihre Kleidung ausgestreckt vor sich und tragen selbst nur Unterwäsche.

Nachdem im vergangenen Jahr zahllose fliegende Händler die Pilger mit Papstsammelbildchen, Benediktwürsten, Kurienkäse und gebrannten Hostien versorgen wollten – selbst das mitgeführte Dixi-Häuschen war als „Ratzingers Beichtstuhl“ ausgewiesen –, bleibt dieses Mal der würdige Rahmen besser bewahrt, weshalb es auch für müde Füße keine „St. Pöltener Wundcreme nach Rezept von Bischof Krenn“ geben wird.

Geben wird es hingegen viele andere Feste, die hier nicht erwähnt werden konnten wie die „Kirchwanger Kerb“ mit ihrem Höhepunkt, dem Zungenhakeln, einem alten Mannbarkeitsritual; oder der „Haferkampentag“ in Güstrow mit dem traditionellen Kleidermatschen, einem Rennen, bei dem die Läufer in viel zu langen Hosen über einen schlammigen Acker rennen müssen und der Sieger einen Eimer Wasser über den Kopf erhält; oder der „Dölmermarkt“ von Dagebüll mit seinem „Dölmerkönig“, jenem Besucher, der die meisten Penunzen verjuxt hat. Lassen wir diese Feste also unerwähnt, ebenso wie all die anderen oben genannten!

PETER KÖHLER