Editorial

Böse Zungen könnten sagen: Nichts ist gut in der Kirche. Missbrauch, Korruption, Rücktritte, Austritte. Nie waren in jüngerer Vergangenheit beide christliche Kirchen von so tief greifenden Skandalen erschüttert wie in den vergangenen Monaten. Und mitten drin nun dieser Kirchentag mit dem Motto „Damit ihr Hoffnung habt“.

Über dieses Großereignis werden wir für Sie auf drei Mal acht Seiten berichten. In Analysen, Berichten, Reportagen und Interviews beleuchten wir, was Kirche heute ist. Und fragen, was sie sein könnte und sein sollte. Was ist von der Gründungsidee der christlichen Religionsgemeinschaft geblieben? Schließlich waren die Urchristen eine Gemeinschaft von Revolutionären, die gegen die Herrschenden aufbegehrt haben. Und heute? Wofür steht Kirche im Jahr 2010? Wie glaubwürdig ist der Kampf für soziale Gerechtigkeit einer Institution, die in vielen ihrer Einrichtungen nicht einmal den Mindestlohn bezahlt? Wie sieht es aus mit dem Einsatz gegen Gewalt? Wie vertrauens- würdig sind Vertreter einer Einrichtung, die fast wöchentlich für Skandale sorgt?

Im gemeinsamen Abendmahl feiern Millionen Chris- ten weltweit die Auferstehung des Sohnes Gottes. Katholiken tun das noch immer nicht gemeinsam mit ihren protestantischen Glaubensbrüder und -schwes- tern. Auch nicht auf diesem ökumenischen Kirchen- tag. In diesem Ritual geht es aber nicht nur um Glaube, Liebe, Hoffnung, sondern um den gefolterten und geschundenen Körper Jesus. Welche Rolle spielt diese Perspektive in einer Zeit, in der Religion für viele mehr mit Wohlfühlen und Selbstfindung zu tun hat als mit der Auseinandersetzung um Gewalt und Folter? Mit welchen Inhalten füllt unsere Gesellschaft dieses Erinnern? Und schließlich: Welche Rolle spielen Körperlichkeit und Körperkult, Sexualität und Zölibat, Missbrauch und befreite Liebe in einem Land, in dem viele gerne die jüdisch-christlichen Wurzeln bemühen, um sich nicht dem interkulturellen und interreligiösen Alltag stellen zu müssen?

Wir laden Sie ein, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dabei lohnt es sich nicht nur am zeitungsfreien Donnerstag auf unser Internetangebot zu klicken. Auch sonst versprechen wir, dass ein Besuch auf taz.de sich lohnen wird. INES POHL