Mit Passion für die Heimat

OLYMPIA Die Spiele in Oberammergau? Der Landtagsabgeordnete Florian Streibl fände das toll. Der Grüne Korbinian Freier ist dagegen

Am Ortsrand sollen riesige Tribünen entstehen, Biathleten und Langläufer um Medaillen ringen

AUS OBERAMMERGAU SEBASTIAN KEMNITZER

Fast geht Florian Streibl in der Masse unter. Er steht rechts hinten auf der Bühne, beim einfachen Fußvolk. Streibl trägt eine Outdoor-Jacke, hält einen kurzen Plausch mit seinem Nebenmann und lugt während der Probe immer mal wieder auf sein Handy. Vorne tritt um 18.17 Uhr ein Apostel in Aktion. Korbinian Freier erhebt in der Rolle des Apostels Philippus inmitten einer Kinderschar seine Stimme. Er spielt seine Rolle bei den Passionsspielen mit Leidenschaft. Im wahren Leben sitzt der Kreisvorsitzende der Grünen an seiner Promotion und versucht nebenbei zu verhindern, dass Olympia in seinem Heimatort stattfindet.

Die Befürworter des Milliardenprojekts sind stark und zahlreich. Zu ihnen gehört der Sohn des 1998 verstorbenen Ministerpräsidenten Max Streibl (CSU). Der 47-Jährige sitzt seit 2008 für die Freien Wähler im Landtag und trommelt kräftig für die Spiele in München, Garmisch-Partenkirchen, Schönau am Königsee und eben Oberammergau. Der Ort kam nur wegen der Nähe zu Garmisch-Partenkirchen ins Spiel, das Biathlon-Mekka Ruhpolding liegt zu weit weg. In Oberammergau sollen auf Wiesen am Ortsrand temporäre Tribünen für 35.000 Zuschauer entstehen, Biathleten und Langläufer um Medaillen ringen. Die Entscheidung der Bewerbungsgesellschaft im Frühjahr 2009 hat auch die heutigen Befürworter überrascht. „Wir haben uns ja nie explizit dafür beworben“, erklärt Streibl gegenüber der taz. Sein Ort ist auch nicht Teil der Bewerbungsgesellschaft, sondern nur potenzieller Austragungsort.

Sowohl Streibl als auch Freier sind in Oberammergau geboren und aufgewachsen. Beide sind zum Studium weggegangen: der eine, Streibl, nach Regensburg, München und Rom, der andere, Freier, nach Bayreuth und Hamburg. Streibl entschied sich für Theologie und Jura, Freier studierte Geo-Ökologie. Aber beide sind zurückgekehrt – denn sie lieben die Heimat, die Tradition, die Passion: Streibl spielt in diesem Jahr zum fünften Mal mit, für Freier ist es die dritte Saison. Dafür hat er sich von seiner Uni beurlauben lassen, trägt lange Haare und Bart; seit über einem Jahr hat er sich nicht rasiert.

Der 29-Jährige schaut heute anders aus als auf früheren Fotos. Als Student hat Freier ab und an als Model gearbeitet, nachdem er in Pulli und Jeans einen Wettbewerb, „neckerMANN 2006“, gewonnen hatte. Kleidungstechnisch tritt er heute noch so auf, allerdings legt er Wert darauf, „nicht als Fundi zu gelten“. Beim Gespräch blickt er stirnrunzelnd auf die sonnigen Wiesen unterhalb des Berggasthofs „Romanshöhe“, auf jene Flächen, auf der die olympischen Wettbewerbe stattfinden sollen.

Die Flächen bereiten der Bewerbungsgesellschaft Sorgen. Viele der knapp 200 Eigentümer, unter ihnen viele Landwirte, fühlen sich schlecht informiert. Manche denken darüber nach, das Land für Olympia nicht herzugeben. Die Kontrahenten Freier und Streibl dienen den Bürgern dabei als zentrale Ansprechpartner. Freier erklärt immer wieder die kritischen Aspekte von Olympia: die ungelöste Verkehrssituation, die schwierigen Finanzen und die Belastungen, die auf die Umwelt zukommen. „Ich halte den gesamten Olympia-Gigantismus für völlig absurd“, sagt Freier. Streibl stellt dagegen die Vorzüge der Bewerbung in den Vordergrund. Er verstehe aber auch die Bedenken der Eigentümer, seiner Wähler. „Insgesamt muss die Bewerbungsgesellschaft noch mehr in Schwung kommen.“

Streibl, oft im traditionellen Janker, beherrscht den Ton eines bürgernahen Politikers. Doch auch im Landtag setzt er Akzente, vor allem wenn es um Olympia geht. Im Oktober peitschte er einen Antrag für die Spiele durch. Vor der Abstimmung trat Streibl selbstbewusst ans Redepult und wählte bewusst große Worte: „Es geht hier um Olympia, einen großen und hehren Gedanken. Was gibt es Besseres in einer Welt, die von Gewalt und Kriegen zerrissen ist.“

Auch im Gespräch wirkt Streibl selbstbewusst. Da sagt er, dass er vermutlich die Politik mit der Muttermilch aufgesogen habe. Das war noch vor wenigen Jahren anders. Nach dem Studium kehrte er nach Oberammergau zurück und eröffnete im Elternhaus eine Kanzlei. Irgendwann packte es ihn dann aber doch: Erst kandidierte er für den Gemeinderat, dann für den Landtag. Allerdings für die Freien Wähler. „Heute würde mein Vater die CSU ähnlich kritisch sehen“, sagt Streibl. Im Elternhaus ist immer noch seine Kanzlei, außerdem gibt es einen großen Souvenirladen voll mit Hüten, Kuckucksuhren und Bierkrügen. Diese bayerische Welt passt zu Streibl: In seiner Freizeit geht er gerne jagen, fährt leidenschaftlich Ski. Auch Korbinian Freier verbringt viel Zeit in der Natur. Auch er tickt auf gewisse Art und Weise konservativ. Und auch er tritt öffentlich auf, allerdings sind seine politischen Bühnen kleiner. Bei einer Info-Veranstaltung im Landkreis vor wenigen Wochen kamen knapp 200 Bürger. Dort schlug sich Freier wacker, konnte einige Bürger überzeugen. Richtig aktiv ist der Freizeit-Politiker noch nicht lange: Seine Mutter, die im Gemeinderat sitzt, hat Freier erst auf Olympia aufmerksam gemacht. Das war vor knapp einem Jahr.

Seitdem kämpfen Freier und Streibl. Die beiden Kontrahenten kennen sich vom Sehen. Sie grüßen sich – nicht mehr und nicht weniger. Und sie wissen, dass noch ein langer Weg vor ihnen liegt: Die Entscheidung fällt das IOC im Juli 2011. Jetzt geht es erst einmal für die Olympia-Bewerbung in eine Art Sommerpause, Oberammergau dreht bis Oktober am Rad: Die Hälfte der 5.000 Einwohner macht bei der Passion mit, 102 Spieltage gibt es, 500.000 Besucher werden erwartet. Eine große Bühne für Apostel Philippus. Richtig bekannt wird Korbinian Freier allerdings erst, wenn er Olym- pia in Oberammergau verhindert.