Siedendes Pech

CANNES CANNES 1 Mit Ridley Scotts „Robin Hood“ startet heute Abend das 63. Filmfestival von Cannes

Was soll ich nur einpacken? Winterpullover? Gummistiefel? Seit in der vergangenen Woche zehn Meter hohe Wellen die Strände an der Croisette verwüstet haben, kann man sich des azurblauen friedlichen Frühsommers, der die Zeit des Filmfestivals von Cannes sonst so angenehm macht, nicht sicher sein. Doch kaum will ich die Regenhosen in den Koffer stecken, erfahre ich, dass in Frankreich noch heute ein Gesetz aus dem Jahr 1801 in Kraft ist, demzufolge Frauen keine Hosen tragen dürfen. „Jedwede Frau, die sich wie ein Mann zu kleiden wünscht, ist gehalten, sich bei der Polizeipräfektur zu melden und eine Bewilligung zu beantragen“, heißt es in der Vorschrift.

Strumpfhosenrolle

Zum Thema Hosen passt der Film, der heute Abend das Festival im Grand Théâtre Lumière eröffnet, „Robin Hood“ von Ridley Scott (er startet übrigens schon morgen in den deutschen Kinos). Als Errol Flynn 1938 die Hauptrolle in „Robin Hood, König der Vagabunden“ spielte, betrieb er eine milde Variante des Cross Dressing. Seine Beine hüllte er in Technicolor-grüne Strumpfhosen, darüber trug er ein Kleidungsstück, das einen Zwitter aus Lendenschurz und Minirock vorstellte. Das hätte stilbildend für Scotts Bearbeitung des Stoffs werden können. Doch Russel Crowe, Flynns Nachfahre, will von Strumpfhosen oder farbenfroher Kleidung nichts wissen. Wo Flynn mit eng anliegendem Beinkleid bezirzte, steckt Crowe in schmutzstarrendem Leder. Der Oberkörper verschwindet unter einem zentnerschweren Kettenhemd, Robin Hood ist ein echtes Muskeltier, ein um 1000 Jahre durch die Zeit gereister Gladiator. Und der Film gibt sich nicht weniger wuchtig.

Ständig galoppieren die Pferde, sirren die Pfeile, fliegen die Lanzen, splittert das Holz unterm Rammbock, schießt kochendes Pech auf die Belagerer. Scott erfindet eine Vorgeschichte für seinen Helden; „Robin Hood“ erzählt, was geschah, bevor der Mann in Sherwood Forest zum ehrenhaften Dieb werden sollte. König Richard Löwenherz kommt beim Plündern einer französischen Burg zu Tode, nachdem er zehn Jahre lang auf Kreuzzug gewesen ist. Daheim in England wird sein Bruder John gekrönt. Er verstößt seine Frau, heiratet eine fesche Französin, entlässt seinen Schatzmeister und will immer mehr Steuern eintreiben. Damit bringt er den Landadel gegen sich auf. Er nimmt sich einen französisch-englischen Doppelagenten zum Berater, der König John hintergeht. So kommt es fast zum Bürgerkrieg, um ein Haar landet die französische Flotte an der Steilküste von Dover. Und wer verhindert’s? Kein anderer als Robin Hood.

Unterm Helm

Marion, Robin Hoods Love Interest, wird von Cate Blanchett verkörpert. Die wiederum spielte in Sekhar Kapurs „Elizabeth: The Golden Age“ (2007) die Titelheldin. Verwirrend daran ist, dass Kapur eine ganz ähnliche Geschichte wie Scott erzählt, mit dem Unterschied, dass sein Film im 16. statt im 13. Jahrhundert spielt und England bei ihm keine französische, sondern eine spanische Invasion zu fürchten hat. Das Ganze gipfelte in einer Szene, in der Cate Blanchett als Elizabeth I. auf einem prächtigen Schimmel an der Steilküste von Dover entlanggaloppierte. Ihr langes rotes Haar hob sich vom satten Grün des Grases ab, das Weiß der Klippe harmonierte mit dem des Pferdes. Als Marion wirft sie sich nun an derselben Stelle ins Schlachtgetümmel, wobei sie diesmal die langen Haare unterm Helm versteckt und auf einem Rappen sitzt, da das prächtige weiße Pferd niemand anderem als Robin Hood gebührt.

Verwirrend ist zudem, dass Scott versucht, in all die Action das eine oder andere Screwball-Element und didaktische Auslassungen über gutes und schlechtes Regieren einzuflechten. Wäre man sehr gnädig, könnte man in Letzteren eine machttheoretische Reflexionsebene erkennen. Was freilich am meisten verwirrt, ist die Frage, warum Thierry Frémaux, der künstlerische Leiter des Festivals, einen Eröffnungsfilm ausgesucht hat, in dem die französischen Figuren nun wirklich nichts als böse, dekadent und feige sind. Haben die Riesenwellen aus dem Mittelmeer etwa den Cannes’schen Kulturchauvinismus mit sich gerissen? CRISTINA NORD