Der Vater der polnischen Demokratie

NACHRUF Tadeusz Mazowiecki, Bürgerrechtler, katholischer Intellektueller und Polens erster nichtkommunistischer Regierungschef nach 1945, ist im Alter von 86 Jahren in Warschau gestorben

WARSCHAU taz | Die hoch erhobene Hand Tadeusz Mazowieckis mit dem Victory-Zeichen und sein strahlendes, leicht verlegenes Lächeln gingen in die Geschichte ein. Am 4. Juni 1989 gewann die Gewerkschaft Solidarnosc die ersten noch halbfreien Wahlen in Polen. Monate zuvor hatte der Runde Tisch, an dem Oppositionelle und Kommunisten den Übergang zur Demokratie besprachen, der Solidarnosc höchsten 35 Prozent der Sitze im Parlament zugebilligt, während der übergroße Rest an die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) und ihre Verbündeten fallen sollte. Nach den Wahlen schlossen sich die Blockparteien der Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc an. Gemeinsam wählten sie am 19. August 1989 den ersten nichtkommunistischen Premier Polens nach 1945: Tadeusz Mazowiecki. Am Montag starb der 86-Jährige nach langer Krankheit in Warschau.

Mit dieser Wahl eines Bürgerrechtlers und katholischen Intellektuellen begann nicht nur in Polen, sondern in ganz Europa eine neue Ära. Tadeusz Mazowiecki und seine Regierung waren Pioniere der Transformation von der Plan- zur Markwirtschaft, von der Einparteienherrschaft zu Demokratie und Pluralismus. „Es waren schwere Entscheidungen, die ich zu treffen hatte“, bekannte Mazowiecki Jahre später. Die „Schocktherapie“ seines Finanzministers Leszek Balcerowicz stürzte die Masse der Arbeiter ins Elend.

Viel Ärger brachte Mazowiecki auch seine Politik der „dicken Linie“ ein, mit der er die Verantwortung für die Misswirtschaft der PVAP von sich wies. Seine Gegner deuteten die „dicke Linie“ in einen „dicken Strich unter die Vergangenheit“ um und unterstellten Mazowiecki, er wolle die Täter unter den Exkommunisten straflos entkommen lassen. Tatsächlich ließen Mazowieckis Innenminister und Geheimdienstchef Akten aus den Archiven verschwinden. Davon erfahren hat der Premier erst später.

Die deutsch-polnische Versöhnung lag Mazowiecki seit Langem am Herzen. Als gläubiger Katholik engagierte er sich im deutsch-polnischen Dialog. Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurde aus polnischer Sicht die Grenzfrage immer dringlicher. Polens Politiker fürchteten, dass die Deutschen nach der Wiedervereinigung Ansprüche auf die ehemaligen deutschen Gebiete stellen könnten. Zwar beruhigte der damalige Kanzler Helmut Kohl die Polen, doch vertraglich festlegen wollte er sich nicht. So betrat Mazowiecki zum ersten Mal internationales Parkett und sprach sich bei den Regierungschefs und Staatsoberhäuptern Westeuropas für ein Hinauszögern der Wiedervereinigung Deutschlands aus. Schließlich willigte Kohl ein.

Eine politisch bedeutende Rolle spielte Mazowiecki noch einmal 1992 während des Krieges in Bosnien und Herzegowina, als er als UN-Sonderbeauftragter durch das Land reiste. 1995 legte er dieses Amt aus Protest gegen die Untätigkeit der UN angesichts der Morde in Srebrenica nieder. „Das war das Einzige, was ich für die Opfer noch tun konnte“, erklärte Mazowiecki später.

GABRIELE LESSER