Labour leidet

VON RALF SOTSCHECK

Die britischen Wähler haben ihr Urteil über Premierminister Tony Blair gefällt. Nun ist die Partei an der Reihe. Den Anfang machte gestern der frühere Gesundheitsminister Frank Dobson: „Ich erkläre den Hinterbänklern, dass es an der Zeit ist, dem Premierminister im Privatgespräch zu sagen, was sie denken. Wenn das nichts hilft, müssen sie es öffentlich sagen. Wir müssen unsere Partei unter ein neues Management bringen. Und das muss so bald wie möglich geschehen.“

Labour hat bei den Wahlen in 176 englischen Gemeinden am Donnerstag das schlechteste Ergebnis seit 1982 eingefahren. Die Regierungspartei verlor 230 Sitze und damit die Mehrheit in 16 Bezirksversammlungen. Gewinner waren die Tories, die unter dem neuen Parteichef David Cameron zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren wieder wählbar erscheinen. Sie kamen auf 40 Prozent. Die Liberalen Demokraten, die in der Vergangenheit von Labours Schwierigkeiten profitiert hatten, konnten sich nicht steigern, lagen mit 27 Prozent aber immer noch 1 Prozent vor Labour.

Die Regierung hatte gehofft, dass die erfolgreiche Bekämpfung antisozialen Verhaltens, die in den von Labour regierten Gemeinden niedrigeren Kommunalabgaben und die Vergabe der Olympiade 2012 an London einen Stimmeinbruch verhindern könnten. Doch eine Kette von Skandalen in den vergangenen zwei Wochen hat diese Hoffnung zunichte gemacht.

Blair reagierte auf das katastrophale Ergebnis gestern mit einer Kabinettsumbildung. Innenminister Charles Clarke, der unter Beschuss geraten war, weil ausländische Straftäter nach Absitzen ihrer Strafe nicht deportiert wurden, ist entlassen worden. Sein Nachfolger wird der bisherige Verteidigungsminister John Reid. Blairs Stellvertreter John Prescott, der vorige Woche eine langjährige Affaire mit seiner Sekretärin eingestehen musste, darf zwar seinen Titel als Stellvertreter behalten, aber er verlor sein „Superministerium“, das Stadtplanung, Wohnungsbau, Kommunalpolitik und ländliche Angelegenheiten umfasste. Überraschend kam die Degradierung von Außenminister Jack Straw, der zu den wenigen Kabinettsmitgliedern gehörte, die in letzter Zeit keine negativen Schlagzeilen produziert haben. Straw wird Parlamentspräsident. Sein Vorgänger auf diesem Posten, Geoff Hoon, leitet fortan das Europaministerium, das bei Labour nur einen geringen Stellenwert besitzt. Neue Außenministerin wird die bisherige Umweltministerin Margaret Beckett (siehe Portrait).

Beim wichtigsten Posten bleibt jedoch alles beim Alten. Blair weigert sich nach wie vor, einen Termin für die Machtübergabe an seinen Schatzkanzler und designierten Nachfolger Gordon Brown zu nennen, obwohl er nach eigenen Angaben den Zeitpunkt für sich bereits festgelegt hat. Mit seiner umfangreichsten Kabinettsumbildung seit seinem Amtsantritt versucht Blair, eine Erneuerung der Labour Party zu signalisieren, doch selbst viele seiner bisher treuen Anhänger sind zu der Überzeugung gelangt, dass eine solche Erneuerung bei der Parteiführung beginnen müsse. Dobson bezeichnete die Kabinettsumbildung als „Umstellen der Stühle auf der ‚Titanic‘“.

David Cameron, der bei den Kommunalwahlen seinen ersten Test als Tory-Chef bestehen musste, erklärte sich gestern zum Sieger. Allerdings hatte auch sein Vorgänger Michael Howard bei den Kommunalwahlen 2004 ein ähnlich beeindruckendes Ergebnis erzielt. Ein Jahr später gewann Labour die Parlamentswahlen, wenn auch mit reduzierter Mehrheit.

Das schlechte Abschneiden am Donnerstag hat für Labour jedoch Folgen für die Unterhauswahlen in drei Jahren. Da die Parteimaschine vor Ort dezimiert und demoralisiert ist, wird es an Leuten fehlen, um einen intensiven Wahlkampf zu führen. Möglicherweise kann sich Brown, wenn er Blair beerbt, an seinem neuen Amt nur kurze Zeit erfreuen.