„Angriff auf prekär Wohnende“

WOHNUNGSNOT In Göttingen wird erneut ein ungenutztes Uni-Gebäude besetzt. Aktivisten fordern, darin Studienanfänger unterzubringen

Es war eine Blitzaktion: Um vier Uhr früh verbreitete eine anonyme Initiative am Dienstagmorgen die Mitteilung, im Göttinger Stadtzentrum sei ein leer stehendes Gebäude der Universität besetzt worden. Als Vertreter der Hochschule und Polizeibeamte sich fünf Stunden später vor Ort einfanden, waren die Aktivisten schon wieder verschwunden.

Bis 2010 war das Haus ein studentisches Wohnheim mit 65 Plätzen, davor beherbergte es die HNO-Klinik der Universität. Derzeit wird es umgebaut, es soll später der Akademie der Wissenschaften zur Verfügung stehen. Den Leerstand des Gebäudes bezeichnen die Besetzer in ihrer Erklärung als Skandal: „Wo Menschen zu immer teureren Mieten in immer kleineren Wohnungen leben, wo Menschen monatelang in die Stadt pendeln oder sich mangels Wohnung letztlich von der Universität exmatrikulieren müssen, da ist jedes Haus, das leer steht, ein indirekter Angriff auf alle prekär Wohnenden“, hieß es weiter.

Bereits im Januar hatten rund 100 Menschen das ehemalige Wohnheim besetzt. Die Universität erstattete Anzeige, die Polizei räumte das Gebäude. Dabei erlitt ein Mann Verletzungen, gegen mehrere Demonstranten wurden Verfahren eröffnet.

Nun beklagten die Besetzer, dass seit dem Winter nichts passiert sei – lediglich „fast alle sanitären Einrichtungen im Gebäude hat die Universität zerschlagen lassen“. Die Aktivisten verlangen, dass in dem Gebäude Notquartiere für Studienanfänger und andere Wohnungslose eingerichtet werden.

Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) schließt sich diesen Forderungen an: „In dem ehemaligen Wohnheim wäre Platz für 65 Studierende“, sagt Hochschulreferentin Isabell Stein. Angesichts der seit Jahrzehnten größten Wohnungsnot sei es unverständlich, dass das Gebäude immer noch leer stehe. „Seltsam“ nennt sie es außerdem, dass nichts in dem Gebäude umgebaut worden sei.

Ein Universitätssprecher begründete den Stillstand der Arbeiten auf taz-Anfrage damit, dass das Niedersächsische Wissenschaftsministerium die geplanten Umbauarbeiten noch nicht genehmigt habe. „Wir hoffen aber, dass das im November geschieht.“

Tatsächlich ist die Wohnungsnot in Göttingen massiv: Alleine an der Universität haben sich zum Wintersemester rund 5.500 Studierende neu eingeschrieben. Die Jugendherberge und sämtliche Hostels der Stadt sind seit Wochen ausgebucht. Der AStA hat bereits Teile seines Gebäudes als Schlafquartiere zur Verfügung gestellt.  REIMAR PAUL