AMERICAN PIE
: Wanted: Quarterback

FOOTBALL Dass Spielmacher in der NFL ein extrem rares Gut sind, bekommen gerade die St. Louis Rams heftig zu spüren

Es gibt einfach zu wenige gute Quarterbacks für alle 32 NFL-Teams

I don’t like mondays. Von allen Tagen der Woche, das ist nicht erst seit den Boomtown Rats bekannt, ist der Montag der unbeliebteste. So unbeliebt wie der vergangene Montag war in St. Louis allerdings selten ein Montag. Zuerst verloren die ortsansässigen Cardinals im heimischen Busch Stadium mit 1:3 gegen die Boston Red Sox das fünfte Spiel der World Series; heute und morgen müssen sie nun zwei Mal in Boston gewinnen, um doch noch den Baseball-Titel in die Stadt zu holen. Damit nicht genug: Nur einen guten Kilometer entfernt reckte der Montag ein zweites Mal sein hässliches Haupt. Im Edward Jones Dome, kaum zur Hälfte gefüllt wegen des parallel laufenden World-Series-Spiels, blamierten sich die heimischen Helmträger. In einem denkbar unansehnlichen Football-Spiel verloren die Rams 9:14 gegen die Seattle Seahawks.

Die Niederlage als solche war keine Überraschung, schließlich gilt Seattle als Geheimfavorit für die Super Bowl. Extrem ernüchternd war die Art und Weise, wie sie zustande kam. Denn zwar spielten die Rams den Favoriten an die Wand, aber mehr als drei Field Goals brachten sie nicht zustande. Das lag vor allem an Quarterback Kellen Clemens. Der ist eigentlich Ersatzmann, musste aber spielen, weil sich der nominelle Quarterback Sam Bradford am letzten Wochenende das Kreuzband gerissen hat und für den Rest der Saison ausfällt.

Als Vertretung von Bradford führte der arme Clemens eine Pannen-Show auf, warf Pässe ins Nichts oder gleich zum Gegner. Rams-Chefcoach Jeff Fisher gab sich trotzdem alle Mühe, seinem Aushilfsspielmacher „keine Vorwürfe zu machen“. Doch was Fisher wirklich hält von dem 30-Jährigen, der seit 2006 in der NFL spielt, aber nie über die Rolle des Ersatzmanns hinausgekommen ist, wurde in der vergangenen Woche offenbar. Da wurde bekannt, dass die Rams so verzweifelt sind, dass sie Brett Favre davon überzeugen wollten, für Bradford einzuspringen.

Favre war einmal ein sehr guter Quarterback. Vielleicht sogar der beste seiner Zeit. Aber diese Zeit ist lange vorbei. Sein endgültiger Rücktritt vor drei Jahren kam, so die allgemeine Meinung, zwei, drei Spielzeiten zu spät. Mittlerweile ist er ein 44 Jahre alter, in Ehren ergrauter Großvater und vertreibt sich seine Zeit als Organisator von Promi-Golf-Turnieren und Trainer der Schulmannschaft seines Heimatstädtchens Hattiesburg. Favre lehnte das Angebot dann auch ab. Er ließ die Rams wissen, er fühle sich sehr geehrt, aber eben auch nicht mehr fit für die NFL. Außerdem hätten mehr als zwei Jahrzehnte Profi-Football ihre Spuren hinterlassen, Favre beklagt Gedächtnislücken.

Andere Pensionäre dagegen wären heilfroh, einen solchen Anruf wie Favre zu bekommen. Für den Job bei den Rams stehen die Bewerber Schlange. Neben Tim Tebow, von dem mittlerweile allerdings nur noch Tim Tebow glaubt, dass er Quarterback in der NFL spielen könnte, hat sich auch Jeff Garcia gemeldet. Der ist zwar deutlich jünger als Favre, nämlich 43, aber war selbst zu seinen besten Tagen ein eher durchschnittlicher Quarterback und ist auch schon seit Jahren im Ruhestand. Die Rams wollten keinen der beiden Rentner.

St. Louis’ erfolglose Suche nach einem halbwegs tauglichen Spielmacher beleuchtet ein grundsätzliches Problem: Es gibt einfach zu wenige gute Quarterbacks für alle 32 NFL-Teams. Um die komplexen Spielzüge zu verinnerlichen und die verwirrenden Taktiken der gegnerischen Defensivreihen in Sekundenbruchteilen zu durchschauen, sind viele Jahre Erfahrung und ausgiebiges Videostudium nötig. Ein Quarterback muss aber nicht nur Rasenschach spielen können, sondern auch das Lederei fünfzig Meter exakt in den Lauf eines Sprinters werfen und notfalls vor heranstürmenden Muskelpaketen davonrennen können. Diese Kombination aus Athletik, Spielintelligenz und Lernfleiß ist selten zu finden. Jedes Jahr wieder entpuppen sich Nachwuchshoffnungen, die noch im College überragend gespielt haben, als vollkommen überfordert von der NFL. Weil Brett Favre niemandem mehr beweisen will, dass er diesen Anforderungen heute noch gewachsen ist, darf Kellen Clemens in der kommenden Woche noch einmal versuchen, seine Eignung als NFL-Quarterback zu belegen. THOMAS WINKLER