LESERINNENBRIEFE
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Was wurde nicht gefilmt?

■ betr.: „Die Tage der Kommune“, taz vom 24. 10. 13

Anfang der 80er Jahre: Wir hatten uns in der Schulzeit an der Nazi-Vergangenheit unserer Eltern abgearbeitet und waren entnervt ins „alternative“ Westberlin geflüchtet. Man wusste in der Szene von Otto Mühl, aber hatte kaum Informationen, was sich am Friedrichshof wirklich abspielte. Heute: Eine der schockierendsten Erkenntnisse des Films zu sehen, wie nahe die Methoden des Drills, der Gleichschaltung und des Brechens von (kindlichen!) Persönlichkeiten von „Führer“ Mühl und den Nazis beieinander lagen. Die erschütternde Szene, wie ein 11-jähriger Junge tränenüberströmt unter dem Gejohle der Mühl-Jünger gedemütigt und gefilmt wird. Da stellt sich die Frage: Was wurde eigentlich nicht gefilmt?

Cristina Nord stellt in ihrer Filmkritik diese Zusammenhänge nicht genügend kritisch dar, sondern versteckt sie unter den Mäntelchen der Naivität der Heilsuchenden. Aber: Wer Augen, Ohren und einen Kopf hatte, der konnte sehen und konnte gehen! Schließlich versteigt sie sich in den ungeheuerlichen Satz vom „selbstgerechten Furor, den manche Kinder von 68er Eltern (heute) an den Tag legen“. Mit genau dem gleichen Satz wurden wir abgespeist, wenn wir die Gräueltaten der Nazis unseren Eltern gegenüber thematisierten. Höchst selbstgerecht, wenn Cristina Nord den Kindern der 68er das wahrlich fundamentale Recht auf Kritik und Empörung abspricht. Das, bitte sehr, müssen wir heutigen Eltern (und Großeltern) wohl aushalten. Uneingeschränkt, so wie wir es vor 30 Jahren selbst eingefordert hatten. WOLF-D. KONRAD-VON APPEN, Berlin

Immer ein Hilferuf

■ betr.: „Ist Hungerstreik Erpressung?“, sonntaz vom 26. 10. 13

Ein Hungerstreik ist immer ein Hilferuf, um die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, um öffentlichen Druck zu erzeugen. Hier ist jeder Einzelfall zu prüfen, inwieweit das erhoffte Ergebnis moralisch wie juristisch vertretbar ist. So möchte ich zwischen dem Hungerstreik eines Schwerverbrechers und dem eines Asylbewerbers klar unterscheiden. Der Staat darf sich nicht erpressen lassen, sollte aber eine möglichst humane, langfristig sinnvolle Lösung anstreben. So müssen wir konsequent die Ursachen der massenhaften Flucht nach Europa bekämpfen. CHRISTIAN FUCHS, Gutenstetten

Nicht einschüchtern lassen

■ betr.: „Kraft: Arbeitsplätze wichtiger als schnelle Energiewende“, taz vom 28. 10. 13

Hannelore Kraft stellt sich hinter die Stromkonzerne, um Arbeitsplätze zu erhalten und um stabile Strompreise zu erreichen. Damit suggeriert sie fälschlicherweise, dass die Energiewende keine neuen Arbeitsplätze bringe und allein verantwortlich für die steigenden Strompreise sei. Gravierender aber ist, dass das damit verbundene lange Festhalten an der Kohle eine massive Verzögerung der Energiewende bedeutet.

Außerdem lassen sich auch neue Kohlekraftwerke (KKW) nicht so gut an die Erfordernisse der erneuerbaren Energien anpassen wie moderne Gaskraftwerke. Und ökonomisch sind sie nicht mehr sinnvoll. Die Stromerzeugungskosten neuer Großsolaranlagen und neuer KKW sind bereits in etwa gleich hoch. Giselher Kühne, der Geschäftsführer der Advace Group, ist der Ansicht, dass die erneuerbaren Energien sogar schon in zwei Jahren den konventionellen Energien überlegen sein werden. Mag diese Überzeugung übertrieben sein, viele Jahre werden es nicht mehr sein. Wieso dann noch neue KKW mit einer Laufzeit von mindestens 50 Jahren?

Wie bei jedem revolutionärem Wirtschaftswandel gibt es auch bei der Energiewende Verlierer. Bei der Einführung der PCs wurde auch keine Rücksicht auf die Schreibmaschinenhersteller genommen. Genauso wenig darf jetzt auf die KKW-Betreiber Rücksicht genommen werden. Die Politik darf sich nicht von den Untergangsszenarien der deutschen Industrie einschüchtern lassen.

ARTUR BORST, Tübingen

Einen neuen Blick riskieren

■ betr.: „Nur Bio geht nicht in Afrika“, taz vom 29. 10. 13

Wenn man das Interview liest, kann man denken, dass es wirklich für die Art der Böden in Afrika keine Alternative als Chemiedünger geben könnte. Das ist aber falsch! Wenn man gewohnheitsmäßig wegschaut von dem, was wir Menschen von uns geben und aufwändig unschädlich machen in Kläranlagen, nachdem wir damit Wasser verdrecken, dann hat Rolf Sommer recht. Wenn man aber da auch einen neuen Blick riskiert, öffnet sich eine neue Welt von Möglichkeiten, wo Chemiedünger, der Böden immer weiter auslaugt, keinen Platz mehr hat.

Phosphat und Kalium kommen sehr gehäuft im Urin vor und in unseren Fäkalien. Urin ist von Natur aus im Normalfall praktisch steril und kann so gut direkt zur Düngung verwendet werden. Bei Fäkalien braucht es eine Phase der milchsauren Fermentierung, am besten mit aus pflanzlichen Abfällen hergestellter Holzkohle. Die kann man in Pyrolyseöfen herstellen, die es schon auf dem Markt gibt und die das Holzgas verbrennen und Holzkohle übrig lassen. Zusammen ergibt es dann Schwarzerde oder Terra Preta. Die Holzkohle bindet Nährstoffe und Mikroorganismen und baut so erosionsresistente, humose Böden auf, die darüber hinaus weniger Bewässerung brauchen. Gleichzeitig bindet die Holzkohle CO2 über Jahrhunderte im Boden. Man könnte sagen, dass das die beste Methode für Carbon Sequestration ist, die wir derzeit kennen. Darüber findet man Infos im Internet. ACHIM ECKER, Bad Belzig