Nord-Endspiel statt Meistertitel

Meisterschaft verspielt und Champions-League gefährdet. Doch HSV-Trainer Thomas Doll macht nach der 2:4-Niederlage in Berlin in Optimismus. Gegen Bremen soll die Königsklasse gesichert werden

Aus Berlin Ronny Blaschke

Die Worte wollten nicht so recht zur Körpersprache von Thomas Doll passen. Der HSV-Trainer wirkte genervt. Seine Haare lagen kreuz und quer übereinander, als hätte er einen Spaziergang bei Windstärke zehn hinter sich. Dann atmete er tief durch und sagte einen Satz, den er nicht das erste Mal von sich gab: „Wir können aus eigener Kraft die Champions League erreichen. Hätte mir das vor der Saison jemand gesagt, hätte ich das sofort unterschrieben.“ Da war sie wieder, die ewige Zuversicht des freundlichen Herrn Doll.

Im Olympiastadion war während der 2:4-Niederlage bei Hertha BSC zuvor die andere Seite des Übungsleiters zu beobachten gewesen. Nervös tippelte er während des Spiels durch die Coachingzone. Ruderte wild mit den Armen, um die mitgereisten Fans um akustische Hilfe zu bitten. Nach dem Abpfiff ging er mit leerem Blick durch den Eingang der Katakomben. Sieht so jemand aus, der mit dem Saison-Ertrag rundum zufrieden ist?

Richtig ist, dass sich der HSV am kommenden Samstag mit einem Sieg oder einem Remis gegen den SV Werder direkt für die Champions League qualifizieren kann. Richtig ist aber auch, dass die Hamburger gegen Hertha die Meisterschaft und die sichere Teilnahme an der europäische Königsklasse schon zum heutigen Zeitpunkt verspielt haben.

Der HSV dominierte die ersten dreißig Minuten.

Die Folge: Piotr Trochowski erzielte Hamburgs Führung durch einen Freistoß aus 25 Metern (10.). Auch auf das 1:1 durch Andreas „Zecke“ Neuendorf (13.) hatte der HSV nur ein Lächeln übrig. Benjamin Lauth erzielte postwendend das 1:2 (19.).

Die Hamburger Welt war in Ordnung. Zumal um 15.58 Uhr über die Videoleinwand das 1:0 des 1. FC Kaiserslautern gegen den FC Bayern verkündet wurde. 15.000 Hamburger Fans entfachten einen Orkan der Freude. Auf zwei Punkte war der Abstand in diesem Moment geschmolzen. Dass er in der zweiten Hälfte auf uneinholbare sechs Punkte anwuchs, lag nicht nur am Ausgleich der Münchner auf dem Betzenberg, sondern vor allem an den Fehlern des HSV.

„Wir waren nicht mehr auf dem Platz“, klagte Thomas Doll. Hertha BSC nutzte die Konzentrationsschwächen der Hamburger für einen versöhnlichen Abschluss einer turbulenten Saison. Alexander Madlung (55.), der scheidende Niko Kovac (69.) und Marko Pantelic (72.) sorgten für den Endstand und rieben den Hamburgern unter die Nasen, wie leichtfertig sie in diesem Jahr die große Chance verspielt haben.

Vielleicht wirkte Thomas Doll nach der Pressekonferenz deshalb ein wenig unausgeglichen: „Endlich redet uns keiner mehr ein, dass wir um die Meisterschaft spielen“, sagte er. „Wir haben ein Endspiel vor der Brust und wir werden noch einmal über die Schmerzgrenze gehen.“Eine typische Aussage des Berufsoptimisten.

Doch er war nicht der Einzige: Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer und Vorstandschef Bernd Hoffmann mühten sich um einen Es-ist-alles-in-Ordnung-Gesichtsausdruck. „Zum ersten Mal seit zig Jahren können wir wieder direkt in die Champions League“, sagte Hoffmann, „ob gegen Bremen oder jemand anderen, ist mir egal.“ Die Trauer über eine entglittene Chance auf den Titel wurde von den Hamburger Verantwortlichen kollektiv heruntergeschluckt.