Lauter schöne Dinge

Werder Bremen gewinnt ganz entspannt mit 6:0 gegen den 1. FC Köln und darf im Nachhinein feststellen, dass man sich damit für den großen Showdown im Duell mit dem HSV um die Vizemeisterschaft schon mal warm geschossen hat

Erstaunlicher Weise sind es meist die ergrauten Herren, die die neuesten Nachrichten immer als Erste haben. Mit ihren Enkeln sitzen sie da, den Kopf leicht schief gelegt, die Hand am Ohr. Der Zeigefinger drückt den kleinen Knopf in den Gehörgang und plötzlich geht die Jubel-Faust nach oben und der Enkel wird umarmt. Eine Minute später hat es auch die Fankurve mitgekriegt und weil man sich ungern zu früh freut, ist es erst die Einspielung auf der Stadionleinwand, die den Jubel entfesselt: Der Hamburger SV liegt in Berlin zurück. Es ist die 70. Minute, gerade hat Ivan Klasnić für Werder das 5:0 gegen Köln geschossen und klar ist: Im Rennen zwischen Werder und dem HSV um Platz zwei ist wieder alles offen, wenn der HSV verliert. Und er verlor, während Werder noch das sechste Tor erzielte und die Fans sangen: „Oh, wie ist das schön.“

Vergessen waren die Patzer in der Abwehr, die sich Werder in der ersten Halbzeit leistete – hätte es nach 45 Minuten 3:2 statt 3:0 gestanden, es hätte sich niemand beschweren können. Aber selbst Werder-Trainer Thomas Schaaf wollte darüber nach dem Spiel nicht „meckern“, sondern sich lieber „auf die vielen schönen Dinge konzentrieren: Wir haben hervorragende Tore geschossen, wir haben super kombiniert und waren super in Bewegung.“

Gelungen ist das, obwohl mit Johan Micoud und Patrick Owomoyela zwei Stützen des Teams fehlten. Gelungen ist das aber auch aufgrund der freundlichen Unterstützung der Abwehr des 1. FC Köln, die die Werder-Stürmer ganz entspannt gewähren ließ. Tim Borowski, Miroslav Klose und Ivan Klasnić durften je zwei Treffer beisteuern zum 6:0-Endstand. Dabei wirkte die Partie zeitweise wie ein Trainingsspiel zweier Mannschaften aus unterschiedlichen Klassen: Vor allem in der zweiten Halbzeit war nichts zu sehen vom Vorsatz der bereits abgestiegenen Kölner, sich an diesem vorletzten Spieltag gut aus der Bundesliga zu verabschieden.

Am letzten Spieltag wird Werder nun zum HSV fahren und es wird das Endspiel um den zweiten Tabellenplatz, auf das Werder immer gehofft hat. Verbunden ist mit dem zweiten Platz der direkte Einzug in die Champions-League. Ein Startplatz in der Champions-League wiederum bedeutet Einnahmen von rund zwölf Millionen Euro und damit deutlichen Rückwind für die Vereinskasse. Für den Drittplatzierten der Bundesliga ist die Teilnahme an der Champions-League nur über weitere Qualifikationsspiele möglich – welche beide Vereine tunlichst vermeiden wollen: „Wir wissen aus dem letzten Jahr mit den Spielen gegen Basel, wie schwer die Quali ist“, sagt Werder-Stürmer Miroslav Klose.

Beim Match gegen den HSV sei nun entscheidend, „wie wir mit dem Druck fertig werden und wie der HSV mit dem sicher noch größeren Druck fertig wird“, sagt Werder-Sportdirektor Klaus Allofs. „Das wird ein Nervenspiel.“ Ob ein psychologischer Vorteil besteht, nachdem der HSV zuletzt so viele Punkte verloren hat? „Die Situation ist, dass wir uns noch verbessern können, während der HSV sich nur verschlechtern kann“, sagt Trainer Thomas Schaaf. „Das ist die angenehmere Situation.“ Unangenehm für Werder ist allerdings, dass nur ein Sieg den zweiten Platz bedeuten würde – bei einem Unentschieden hätte der HSV nach wie vor die Nase vorn.

Klaus Irler