Versöhnung nach Herthaner Art

Hertha verabschiedet sich beim letzten Heimspiel der Saison mit einer brillanten Leistung von den Fans: Trotz zweimaligen Rückstands und einer gelb-roten Karte für Neuendorf besiegen die Berliner den HSV mit 4:2

Niko Kovac schenkte der rührseligen Versöhnungsveranstaltung von Hertha BSC ein Gesicht. Gut 20 Minuten nach dem 4:2-Sieg gegen den Hamburger SV ging er Richtung Katakomben mit entblößtem Oberkörper und mit seinen Kindern an beiden Händen. Von der Tribüne brüllte ein Fan: „Niko, Niko, gib mir deine Hose!“ Der Kapitän der kroatischen Nationalmannschaft freute sich über die Zuneigung, doch er musste den Fan enttäuschen: „Das geht nicht, da wäre ich ja nackt.“ Dann lachte Kovac und entschwand ins Stadioninnere.

Es ist bekannt, dass die Spieler des Hauptstadtklubs immer, ja wirklich immer ihr letztes Hemd für die Fans geben – aber ihre letzte Hose, nein, das ginge zu weit. Niko Kovac sei es natürlich verziehen. Der 34 Jahre alte Mittelfeldspieler bestritt schließlich sein letztes Heimspiel für seinen Verein und köpfte prompt ein Tor – das 3:2 in der 69. Minute.

Bei Hertha BSC spielte der gebürtige Berliner, der im Wedding aufwuchs, bereits fünf Jahre in der zweiten Liga. Dass er nun nach drei ordentlichen Bundesliga-Spielzeiten kein weiteres Vertragsangebot erhielt, konnte er nicht ganz nachvollziehen: „Ich bin ein emotionaler Mensch. Das vergesse ich nicht. Das geht mir nahe. Aber so ist eben das Geschäft.“ Sein Trainer, Falko Götz, der künftig weiter seinen Jugendstil vorantreiben will, bescheinigte Kovac immerhin eine „sensationelle Karriere“.

Und so hatten sich nach dem letzten Heimspiel im ausverkauften Olympiastadion doch wieder alle lieb, na ja, so schien es zumindest. Der Sieg gegen den HSV, der stark begann und durch Piotr Trochowski (0:1, 10.) und Benjamin Lauth (1:2, 19.) zweimal in Führung ging, entschädigte für das Teilzeit-Gruselkabinett, das die Berliner ihren Zuschauern in dieser Saison immer wieder vorgestellt hatten. Mutlos und uninspiriert hatten sie sich im Winter präsentiert und eine katastrophale Serie aufgestellt: kein Sieg in 13 Pflichtspielen hintereinander. „Dieser Sieg ist ein gutes Ende einer bewegten Saison“ – so formulierte es Manager Dieter Hoeneß. An das Auswärtsspiel beim 1. FC Nürnberg am kommenden Samstag schien er dabei nicht zu denken.

Hoeneß hofft vermutlich darauf, dass die Eindrücke gegen Hamburg den Sommer überdauern werden. Die Berliner boten vor allem in der zweiten Halbzeit all das, was sie lange verlernt zu haben schienen: Spielfreude, Kampfkraft und Effektivität: Dem 1:1 durch Andreas Neuendorf (13.) schlossen sich die Tore von Alexander Madlung (55.), Kovac und Marko Pantelic (72.) an. Spieler wie Marcelinho, der an der Vorarbeit der letzten drei Tore beteiligt war, erreichten wieder die gewohnte Form. „Wir haben das Berliner Publikum sehr gut unterhalten“, sagte Trainer Götz. Torwart Christian Fiedler ergänzte: „Endlich können die Fans wieder beruhigt nach Hause gehen.“ Da geriet selbst die gelb-rote Karte von Andreas Neuendorf (59.) in Vergessenheit, der wie ein aufgebrachtes Rumpelstilzchen vom Platz marschierte und auf Schiedsrichter Wolfgang Stark schimpfte: „Wenn jemand Stark heißt, sollte er auch stark pfeifen.“ Man darf gespannt sein, ob sein Zorn oder die Schwalbe zuvor ein Nachspiel haben wird.

Dieter Hoeneß und Falko Götz wollten sich damit nicht lange beschäftigen, sie haben schließlich andere Sorgen. Kurz vor Saisonende wächst bei Hertha BSC nämlich die Abschiedsangst. Neben Kovac werden auch Reservetorhüter Gerhard Tremmel und die Spieler Oliver Schröder, Thorben Marx und Vaclac Sverkos den Verein verlassen. Diese Wechsel wird Hertha kompensieren können. Fraglich ist dies bei Verteidiger Josip Simunic, dessen Abgang als beschlossene Sache vermeldet wurde, der aber am Samstag nicht offiziell verabschiedet werden wollte.

Nun befürchten Herthas Verantwortliche, dass Simunic eine Abwanderungswelle auslösen könnte. „Zerbricht Hertha?“, fragte der Boulevard bereits besorgt. Auch der türkische Spielgestalter Yildiray Bastürk und der Brasilianer Marcelinho haben trotz gültiger Verträge bis 2007 durch Aussagen immer wieder für Irritationen gesorgt. Beide wollen in der Champions League spielen, in Berlin aber bleibt nur die triste Bühne des UI-Cups. Sollten sie Hertha verlassen, hätte das fatale Folgen für die Aufbauarbeit der jungen Mannschaft. Daher sind die Bedeutung des Sieges über den Hamburger SV und der vorübergehende spielerische Glanz umso höher einzuschätzen. Ronny Blaschke