Pankow ist nicht Hamburg

Schatten werfen keine Schatten: Delbo aus dem Umfeld der inzwischen geschlossenen Garage Pankow bringen mit „Havarien“ ihren bereits dritten Tonträger heraus. Ihre Musik kennt keine Stromschnellen, sie ist sozusagen einfach da

Nein, einfach machen sie es sich nicht, diese drei jungen Männer aus Berlin. Daniel Spindler, Florian Lüning und Tobias Siebert machen seit gut fünf Jahren als Delbo eine Musik, die man beim ersten Hören sofort als Hamburger Schule einsortieren möchte: Eine kompliziert scheinende Gitarrenmusik mit markantem Bass und deutschen Texten, die etwas verschraubt, anintellektualisiert rüberkommen. Natürlich muss man da an frühe Blumfeld oder die der Wiederentdeckung lohnenden Cpt. Kirk &. denken. Aber Pankow ist nicht Hamburg, und Delbo sind auch alles andere als pure Nachmacher.

Auf den Vorgängerveröffentlichungen, allesamt auf dem Winzlabel Loob Musik erschienen, gaben sich Delbo öfter einmal dem Tempo und dem Lärm hin. Mit „Havarien“ machen sie einen Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen: Die Musik ist absolut nicht tanzbar, zuweilen nicht aushaltbar, sie bleibt im selbst gesteckten Rahmen. Sie spröde zu nennen, wäre keine Beleidigung: Sie fließt so dahin, die Musik, sie kennt keine Stromschnellen, keine Fälle, keine Ausbrüche, sie ist sozusagen einfach da. Das Erstaunliche daran ist, dass es trotzdem nicht langweilig wird. Was zum einen an der ausgeklügelten Eleganz der Gitarre, der Bassläufe, überhaupt des perfekten Zusammenspiels liegen könnte – wie viele Stunden, Tage, Wochen, Monate mussten sie dafür üben? Zum andern am äußerst dezenten Einsatz aller Instrumente – hier kommen Klaviertupfer hinzu, da gibt sich so was ein Akkordeon die bescheidene Ehre.

Oder es liegt an Daniel Spindlers Stimme, die mehr oder minder monoton in nahezu gleicher Lautstärke die zunächst kryptisch erscheinenden Texte daherhaucht. Worum es in den Texten geht, ist gleichfalls schwer zu sagen. Um „Havarien“ im Wortsinn kann es nicht gehen, Schiffe kommen jedenfalls nicht vor. Was zuweilen vorkommt, sind große Wörter wie Haut, Angst oder Geschichte, aber auch das ist nicht wesentlich, denn was da zwischen der Stimme und manchmal einem Du, manchmal einer Sie verhandelt wird, spielt sich wohl hauptsächlich im Nonverbalen ab.

Konkreter wird’s nicht. Tatsächlich ist „Havarien“ eine Platte, die Sprachkrisen verhandelt. Es gibt „kein Erzählen mehr“ („Delgado“), und „wir kommen ohne Wort davon“ („Reprise“). Zum Glück, denn „mit jedem Wort teilst du dich aus“ („Partie“), und am Ende muss man „sich immer wieder drehen in viel zu kurzen Sätzen“. Mit anderen Worten: „Hier ist die Sprache nicht vorhanden“, und schließlich: „Was bliebe wohl zu sagen“ („Depart“). Viel mehr als Spuren werden da nicht gelegt, und trotzdem oder gerade deshalb ist das eine interessante, weil eben leicht verstörte und verstörende Platte.

Wir fassen zusammen: Spröde Musik, wortscheue, abstrakte Texte. Und das soll jetzt eine gute Platte sein, und das hier eine lobende Kritik? Ja, doch. „Havarien“ schafft es, einen zu beschäftigen, man muss die Platte nur einfach mal laufen lassen. Ähnlich wie die letzte NMFarner und in der Folge vielleicht die befreundeten Bands Klez.e, Sternbuschweg oder Mobilé kann diese Neuberliner Musik nämlich etwas, was die vermeintlich großen Vorbilder von der Elbe (wie zum Beispiel Kettcar, als dessen Vorband Delbo schon unterwegs waren) längst verlernt zu haben scheinen: Fordern nämlich. Und zwar so hehre wie unterschätzte Tugenden wie Aufmerksamkeit, Geduld und Hingabe. Wirklich, es lohnt sich. RENÉ HAMANN

Delbo: Havarien (Loob Musik/Universal/Broken Silenze); Konzert mit Klez.e am 21. 5. im Roten Salon, Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte. Mehr Infos unter: www.delbomat.de